Erstveröffentlichung

Anthonis Mor

Andreas Vesalius

50.01-Mor-Vesalius 240Zum Bestand der Eremitage, St. Peterburg, gehört ein Bildnispaar, von dem angenommen wird, daß es von Antonis Mor (auch: Antonio Moro. ca.1520─1576/77) ausgeführt wurde, aber wenig Beachtung fand, da die Identität des dargestellten Mannes nicht zu klären war. An dem Portrait of a Man (Öl auf Linde 76,8 x 63,3 cm. Inv.-Nr. 401. 1546 datiert) fällt zunächst eine gewisse Eleganz auf. Hoheitsvoll blickt der lt. Inschrift 31jährige Mann auf den Betrachter und stemmt zugleich, Distanz schaffend, den rechten Arm in die Hüfte. Er ist exquisit gekleidet und zwar nach spanischer Art, schwarz und hochgeschlossen bis zum Kinn mit einer Knopfleiste. Sie endet in einem hohen schwarzen Kragen. Der Mann trägt zwar keine Halskrause, jedoch ein weißes Hemd, dessen Kante ebenfalls onduliert ist und vom rechten Ohr entlang des blonden Vollbarts bis zum Kinn sichtbar wird. Eigentümlicherweise hängen mittig zwei weiße Bändel vom Kragen herab vor der Brust, als ob er eine feine Kette tragen würde. Der elegante Überrock ist ebenfalls dunkel, aber ornamentiert und an den Schultern durch Polster betont. Um die Hüfte scheint ein Gurt gebunden zu sein. Das Gewand ist auf Taille gearbeitet und verfügt über enge Ärmel; von den weißen Manschetten sieht man nur die gekräuselte Kante. Auf dem Kopf sitzt das flache schwarze Barett leicht schräg. Darin wirkt die Machart wie ein Barett der Ära Henri II. Der Hintergrund des Bildes ist monochrom angelegt und in Höhe des rechten Ohrs durch eine Inschrift geziert:

ÆTATIS · XXXI Verbesserungen aus Ztschr.Artikel übernehmen

ANNO · 1546

Die Identität der Person zu finden, war durch das überlegene Auftreten des Dargestellten erschwert, da man einen Adligen vermutet, denn man könnte bei der Person auf einen Hofmann verfallen. Ein Attribut für die adlige Abkunft ist jedoch nicht zu finden. Der Stolz des Erscheinungsbilds ist jedoch keine hohle Geste, wie bei Herzog Heinrich XI. von Liegnitz

(s. Beitrag Cranach d. J., Herzog Heinrich XI.), sondern geht von einer überragenden Persönlichkeit aus, die zum Zeitpunkt der Portraitsitzung Ungewöhnliches vollbracht hatte und zwar europaweit.

Das Rätsel um die Person ließ sich aber nur über die beiläufig erscheinende Inschrift aufklären. Da das Gemälde 1546 entstanden ist und einen 31jährigen zeigt, kommt nur ein Mitteleuropäer infrage, der 1515 zur Welt kam. Die Herkunft des Malers (geboren in Utrecht und tätig in Antwerpen) deuten auf eine Person aus den damals noch vereinigten Niederlanden. Die Garderobe spricht für eine Person aus dem kaiserlich-spanisch orientierten Bereich, denn Mor war ab 1555 Hofmaler. Doch von den zeitlich infrage kommenden Personen wollten die Lebensläufe nicht dazu passen.

Als Angelpunkt in der Problematik erwies sich das zugehörige Frauenportrait. Dessen Inschrift lautet:

ÆTATIS · XXV

ANNO · 1543

Doch die Jahreszahl ist unklar, da das Format seitlich gekürzt wurde. Die Frau wird als 25jährige bezeichnet. Wenn sie nach der Datierung 1543 drei Jahre früher porträtiert worden wäre, müßte ihr Geburtsjahr 1518 sein. Man vermutet aber eine Abänderung durch die Verschnörkelung der Zahlen, und einige Experten datieren die Jahreszahl sogar auf 1592. Da aber das Portrait des Mannes deutlich 1546 datiert ist und beide Bilder zusammengehören, wie die gleiche Höhe bestätigt, handelt es sich bei 1592 um eine Sackgasse, zumal der Künstler bereits 1576/77 gestorben ist. Außerdem paßt die strenge Tracht der Frau nicht in die 90er Jahre.

Den Durchbruch brachte die Datierung 1546, denn Andreas Vesalius (1515─1564/65), der weltberühmte Anatom, stand 1546 auf der Höhe seines Ruhms; im Jahr zuvor war sein Hauptwerk De humanis corporis fabrica in sieben Büchern mit den einzigartigen anatomischen Tafeln, gedruckt als Holzschnitte, in Basel erschienen. Zusammen mit dem venezianischen Gesandten, Bernardo Navagero (1507─1565) reiste Vesalius zum Reichstag nach Regensburg, wo Kaiser Karl V. ihn zu seinem Leibarzt berief. Es ist sogar denkbar, daß das Gemälde in Regensburg entstanden ist, das Portrait seiner Frau aber erst nach Rückkehr nach Flandern. Die Jahreszahl 1546 ist zugleich das Datum ihrer Hochzeit (s. Beitrag Mor, Anna van Hamme). Durch diese Indizien ist die Identifikation der beiden Gemälde hinreichend belegt.

Die Familie des Vesalius stammt, wie die deutsche Version seines Namens ´van Wesel´ besagt, aus dem Herzogtum Cleve, das meist zu den kaiserlichen Niederlanden gerechnet wird, aber ein von Düsseldorf aus regiertes Fürstentum war. Vesalius Vater war bereits Hofapotheker beim Kaiser. Die Naturwissenschaften gehörten zur Familientradition. Da Vesalius keine Scheu vor Tieren hatte ─ er brachte sich das Schwimmen selbst bei, indem er sich mit aufgeblasenen Rindsblasen über Wasser hielt ─, beschäftigte er sich schon als Junge mit der Anatomie. Sein Vater sorgte für eine humanistische Ausbildung und schickte ihn nach Leuven, wo zwar die Philologie Spitzenklasse war, nicht aber die Naturwissenschaften; diese verharrten noch bei scholastischen Ansichten.

Daher nahm Andreas Vesalius sein Fortkommen selbst in die Hand und sezierte Mäuse, Ratten, Maulwürfe sowie Hunde und Katzen, um sich über deren Zusammensetzung ein authentisches Bild zu verschaffen. Außerdem wechselte er die Universität und wandte sich nach Paris. Dort hörte er den Anatom Jakob Sylvius (1478─1555), der wegen seiner systematischen Denkweise geschätzt wurde. Entsprechend dem Stand der Wissenschaft rühmte auch der die Anatomie des Griechen Galen(os) (129/131─ca.215) als unvergleichlich. Offensichtlichen Widersprüchen zur Realität umging Sylvius und bot seinen Studenten wenig Anschauung. Deswegen konzentrierte sich Vesalius auf eigene Untersuchungen. Dazu nutzte er die Beinhäuser auf Friedhöfen wie S. Innocente, aber auch den Richtplatz von Montfaucon. »Bei den schauerlichsten Hinrichtungen (Viertheilungen) drängt er sich dicht heran in der Hoffnung, über das Verhalten der Herzbeutelflüssigkeit Gewißheit zu bekommen« (M. Roth).

1536 mußte er jedoch seinen Aufenthalt in der Stadt abbrechen, weil erneut ein Krieg zwischen dem Kaiser und Frankreich ausbrach. Nach Leuven zurückgekehrt eignete er sich die Gebeine eines Hingerichteten an, setzte sich daraus ein Skelett zusammen und nutzte es für seine Seminare.

Im Norden Europas sah er für sich kein Weiterkommen; so lockten ihn die Universitäten des Südens. Er reiste zunächst nach Venedig bzw. dessen Universität in Padua, wo er 1537 promovierte. Italien war noch immer durch das Ärzte-Gesetz Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen von 1240 an medizinischen Kenntnissen voraus. In dem Gesetz waren nämlich schon die Ärzte verpflichtet worden, an menschlichen Leichen zu lernen. Die Universitäten Bologna und Padua praktizierten das auch, aber nur sehr diskret, weil der Vatikan es nicht erlaubte. Ansonsten standen eben nur die antiken Schriften Galens zur Verfügung. »Etwas ähnliches wie die Forschung Vesal’s findet sich im ganzen Alterthum nicht; weder Galen noch Aristoteles, sondern Vesalius ist der Begründer der anatomischen Methode« (M. Roth).

50.01-NEB-1-Skelett 240Johannes von Calcar. Holzschnitt.
Aus: De humani corporis fabrica
Aber Vesalius entdeckte mehr und mehr Lücken und Irrtümer darin und beschloß, diese zu schließen bzw. zu korrigieren. »Allein Vesalius überragt seinen Vorgänger unendlich an Eifer, Fleiß, an genauem und umfassendem Studium« (M. Roth). Die Universität Padua erlaubte ihm, Vorlesungen zu halten. Dabei ging er zwar von Galen aus, arbeitete aber anhand von Präparaten. Wie ein Lauffeuer gelangte sein Ruhm nach Bologna. Von dort erging 1540 ein Ruf an ihn, zumal er ein komplettes Skelett mit nach Bologna brachte. Soweit war noch kein Mediziner vor ihm gegangen.


Schon in Venedig 1538 veröffentlichte er seine tabulae anatomicae ─ der Vorläufer seines einzigartigen Atlas De humani corporis fabrica in sieben Büchern (rd. 700 Seiten), 1543 verlegt von Oporinus in Basel. Die großformatigen Tafeln wurden als Holzschnitte hergestellt; gezeichnet wurden sie unter Versalius‘ Aufsicht von Johannes von Calcar (1499─1546/50). Weitere Abbildungen über Eingeweide und Gefäße sollen von ihm selbst stammen. Den Gelenken wurde eine vordem nicht gekannte Sorgfalt gewidmet. Weitere Veröffentlichungen beschäftigten sich mit dem Adersystem und der chirurgischen Praxis. Vesalius war der erste, der den Geburtsweg wissenschaftlich beobachtet hatte. Er fand heraus, daß Galen nie den Menschen seziert hatte, sondern sich beim Sezieren mit Affen beholfen hatte, deren Skelett aber nicht völlig identisch mit dem Menschen ist.

Auch in Pisa führte er eine öffentliche Sezierung durch, schlug aber den von Cosimo de’Medici (1519─1574) angebotenen Lehrstuhl aus, weil er vom Kaiser als Leibarzt engagiert wurde. Doch eifersüchtige Kollegen versuchten ihn anzuschwärzen; vor Verleumdungen schreckte man nicht zurück. Warum er die Stellung bei Hofe vorzog und auf die Lehre verzichtete, ist nicht ganz geklärt. Vermutet wird, daß er nach der kompletten Ermittlung des Knochengerüstes sich wieder dem Heilen zuwenden wollte, der eigentlichen Aufgabe eines Arztes. Allerdings hatte er sich da einen schwierigen Patienten ausgesucht. Der überaus eigenwillige Kaiser war u.a. gichtkrank und nicht bereit, ärztlichen Ratschlägen zu folgen; vor allem beim Essen wollte er seine Lebensweise nicht korrigieren. Nur »so oft es dem Kaiser schlimmer geht, pflegt er sich an Vesalius zu wenden« (M. Roth), soll ein Gewährsmann aus der Umgebung des Kaisers mitgeteilt haben.

Zurück zum Vesalius-Portrait. Daß es gerade 1546 entstanden ist, also kurz nach seinem Amtsantritt bei Karl V., zeigt an, daß er in seiner neuen Tätigkeit die offizielle Anerkennung seiner Forschungsleistung sah und dementsprechend selbstbewußt auftrat. Zugleich ist das Gemälde ein Dokument seiner Souveränität, denn trotz deutlich sichtbaren Stolzes auf das Erreichte verzichtet er auf ein Attribut seines Ranges bei Hofe bzw. Juwelen. Für den Künstler Anthonis Mor ist es ein Frühwerk, indem er seine Begabung für die Erfassung der Individualität des Vesalius erweist.

Zum Vergleich gibt es einige graphische Portraits von Vesalius, die zwar den Typus wiederholen, aber nicht an die Qualität des Portraits von Anthonis Mor heranreichen wie Nr. A 22755. Darin ist rechts in der Kartusche der Orden der Jerusalem-Fahrer angedeutet. Ein Holzschnitt-Portrait von Vesalius lieferte Johannes 50.01-NEB-3-Vesal 240Unbekannter Künstler: Andreas Vesalius.
Kupferstich
von Calcar (s. Beitrag Lavinia Fontana, Giulio Cesare Aranzio), das dem Portrait etwas ähnlicher ausgefallen ist.


Verlief Vesalius bisheriges Leben gradlinig und konsequent, gibt der spätere Verlauf manche Rätsel auf. 1556 dankte Karl V. ab und ´vermachte´ seinen Leibarzt seinem Sohn Philipp II. Das bedeutete für Vesalius: ein Leben in Madrid. Offenbar hatte er sich in dem überwiegend altgläubigen Landesteil der Niederlande wohl gefühlt, das durch die konfessionellen Spannungen aber zunehmend unsicherer wurde; vielleicht war er sogar in seinem Fühlen und Denken von dem fanatisch katholischen Kaiser beeinflußt worden?

Sein Umfeld überraschte er jedenfalls, als er auf Grund eines Gelübdes 1564 eine Pilgerreise nach Jerusalem antrat, von der er krank den Rückweg antrat und nach einem Schiffbruch auf der Insel Zante im Mittelmeer starb. Diese Umstände ließen Gerüchte von einer Verpflichtung zur Pilgerfahrt aufkommen, weil ihm sonst sein Sezieren ein Verfahren bei der Inquisition eingebracht hätte. Philipp II. habe sich aber für ihn eingesetzt und erreicht, daß er durch sein Gelübde zur Pilgerfahrt dem Verfahren entkam.



Tavernier-TintoretJean-Baptiste Tavernier:
Portrait d’un homme
PS. Im Internet werden zwei Portraits von A. Vesalius angeboten, die angeblich auf Tintoretto zurückgehen. Der Stich von Jean-Baptiste Tavernier (1605─1689) in der Smithsonian Institution Library, Washington DC, ist posthum entstanden und nicht mit Vesalius betitelt, sondern mit Portrait d’un homme. Da die Person ein Schwert umgegürtet trägt, kommt Vesalius als Dargestellter überhaupt nicht infrage. Das aus drei Mohnkapseln bestehende Wappen weist im übrigen auch auf jemand anderes hin. ─ Das in der Académie Nationale de Médicine, Paris, befindliche Ölbild könnte dieselbe Person sein, nach der der Stich gefertigt wurde. Da sie jedoch Handschuhe hält, ist hier auf alle Fälle kein Mediziner, sondern wahrscheinlich ein Jurist dargestellt. Außerdem läßt sich von Vesalius keine gedankliche Brücke schlagen zu dem Sockel mit dem Relief zweier, ein Boot entladender Personen, die eher auf einen Kaufmann deuten.


© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2018



size1angeblicher Tintoretto in der Académie
Nationale de Médicine, Paris
Literatur
An Delva. In: Nationaal Biografisch Woordenboek. Bd. 11 Brüssel 1985
M. Roth. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 39 Berlin 1971
Johann Heinrich Zedler: Das Grosse vollständige Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Leipzig 1732-56

Bildnachweise
Nikolai N. Nikitin: Netherlandish Painting. Moskau 1989 S. 171
Johannes von Calcar. Holzschnitt. Aus: De humani corporis fabrica. Basel 1543
Unbekannter Künstler: Portrait des Andreas Vesalius. Die Porträtsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Reihe A 22755 Bd. 26 München u.a. 1994
https://de.search.yahoo.com/search;_ylc=X3oDMTFiN25laTRvBF9TAzIwMjM1MzgwNzUEaXRjAzEEc2VjA3NyY2hfcWEEc2xrA3NyY2h3ZWI-?p=Vesalius+Tintoretto&fr=yfp-t-911&fp=1&toggle=1&cop=mss&ei=UTF-8 (9.7.2017)