Erstveröffentlichung
Hans von Kulmbach
Anna Krupka
Was man von Büchern sagt: habent sua fata libelli, gilt auch für manche Gemälde, erst recht für Portraits. Wenn die Überlieferung, um wen es sich bei den im Portrait Dargestellten handelt, verloren gegangen ist, führen die Dargestellten ein Schattendasein. Das trifft auch auf das Bildnis einer jungen Frau zu, das sich seit 1935 in der Sammlung Thyssen-Bornemisza befindet (49,6 x 39,8 cm, Öl auf Holz übertragen, früher 1527 datiert).
Es wurde Hans von Kulmbach (ca.1480─1522) zugeschrieben und so auch in dem Katalog von 1969 deklariert, als die Sammlung noch in Castagnola/Tessin beheimatet war. Zwanzig Jahre später wurde ein neuer, ausführlicherer Katalog erstellt, der die Sammlung thematisch in mehrere Bände aufgliederte. Herausgeberin der Early German Paintings 1350─1550 ist Isolde Liebbecke. Hierin wird das Portrait nicht mehr erwähnt.
Ursprünglich war das Gemälde lt. Friedrich Winkler nicht in optimalem Zustand; es wies Fehlstellen auf und Übermalungen. Zwischenzeitlich wurde es einer Restaurierung unterzogen, welche die Beschriftung links neben dem Profil herausarbeitete. Sie umfaßt drei Zeilen:
ANNA
nicht mehr lesbar
XXII
Daraus geht immerhin hervor, daß die Porträtierte 22 Jahre alt ist und den Vornamen Anna trägt. Für die familiäre Zuordnung scheint es keinen Anhaltspunkt zu geben. Die Bearbeiterin des Katalogs von 1991 entschied sich gegen die bisherige Zuschreibung an Hans von Kulmbach, der 1522 starb, und datierte das Porträt auf ca. 1527. Obwohl die kühle Sachlichkeit der Bildauffassung eher für Hans von Kulmbach zu sprechen scheint, wird seit 1991 der Maler als anonym bezeichnet und die Person als Porträt der Anna Dürer. Die Begründung für diese Annahme bleibt unverständlich. Zehn Frauen aus der Familie werden von Albrecht Dürer in seinen Schriften namentlich genannt, aber keine Anna Dürer.
Bei dieser unklaren Sachlage scheint es angebracht, einen neuen Ansatz zu finden, um die 22jährige doch noch zu identifizieren. Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich nicht um eine Adlige handelt, leitet sich aus der edlen, aber nicht durch Juwelen gesteigerten Ausstattung ab. Der Hut bzw. die Mütze läßt sich als schlicht bezeichnen. Besondere Ausstattungsstücke individuellen Gebrauchs fehlen leider gänzlich. Charakteristisch ist jedoch das Dekor des Kleides. Es läßt an das Gemälde von Hans Maler Anna von Ungarn (Museo Thyssen-Bornemisza Nr. 1937.2) denken, das 1519 gemalt wurde und vergleichbar einen stilisierten floralen Schmuck zeigt. Doch der Beitragsautor C. S. (Christian Salm) im Thyssen-Bornemisza-Katalog von 1971 schreibt: »Ebensowenig konnte nachgewiesen werden, dass die Tracht der Dargestellten polnischen Ursprungs ist«. Wer konnte sich ähnliche Garderobe leisten, ohne zum Hochadel zu gehören? Nur der Geldadel.
Bleibt man bei der früheren Zuschreibung an Hans von Kulmbach, stößt man rasch auf dessen Auftraggeber, die Familien Betman und Boner. Ähnlich wie die Fugger und Welser schafften sie es, kraft ihres Geldes sich in den Adel vorzuarbeiten. Dazu findet sich in biographischen Berichten über diese Familien ein interessanter Vorgang.
1518 heiratete eine Anna Krupka in Krakau den vermögenden Justus Ludovicus Decius (ca. 1485─1545, s. Beitrag Elsner, Decius). Sie war Tochter des verstorbenen Jan Krupek aus Krakau, der allerdings in der polnischen Enzyklopädie von 1963 nicht erwähnt wird. Allem Anschein nach war der Vater Jurist und durch diese Qualifikation Jan/Johann Boner (ca. 1463─1523) sehr verbunden, denn Boner war von dem Verstorbenen zum Vormund für Anna Krupka bestellt worden. Der Tod Krupeks muß Jahre zurückgelegen haben (die Angaben sind sehr lückenhaft), so daß Anna Krupka vor ihrer Heirat als Mündel im Hause der Boners gelebt hat.
Hans von Kulmbach jedoch war von den Familien für mehrere Aufträge nach Krakau geholt worden. So kann man annehmen, daß er im Hause verkehrte und auch Anna Krupka porträtiert hat. Allerdings kommt nur ein früherer Zeitpunkt infrage, etwa 1518/19. Stilistisch trifft die Annahme zu, wie aus dem Vergleich der Garderobe mit der von Hans Maler 1519 gemalten Anna von Ungarn hervorgeht.
Aus dem sehr ernsten, fast verschatteten Gesicht der jungen Frau spricht die Traurigkeit für eine Waise, trotz des sie umgebenden Wohlstands. Daß Hans von Kulmbach der Urheber des Porträais war, bestätigt auch eine Zeichnung von ihm, der Knieenden Stifterin aus der Sammlung der Universitätsbibliothek Erlangen. Bei beiden Frauen finden sich die geradlinige Nase und die eigentümliche Mundpartie, bei der das Kinn eingekerbt ist. Leider sind über sie nur wenige Informationen überliefert. Dagegen läßt sich über ihren Bräutigam mehr berichten. Beide hatten in ihrer Ehe drei Söhne und fünf Töchter.
Wie die Betmans und Boners stammte Jost Ludwig Dietz (poln. Decjusz, latinisiert Decius, ca. 1485 ─ 1545) aus Weissenburg (heute Wissembourg) an der nördlichen Grenze des Elsaß. Die genannten Familien waren wegen des langandauernden Krieges zwischen der Pfalz und dem Bistum Trier ausgewandert in das damals ruhige und starke Königreich Polen, das unter Zygmunt I. Jagiello (1467─1548) prosperierte und Erfolg versprach. Im Chronicon Alsatiae steht im 5. Buch (S. 210): »Es sind vor Jahren vil trefflicher ansehnlicher geschlechter / ausser beiden Stetten Weissenburg vnnd Landauw kommen, so sich bey frembden Nationen heußlichen nidergelassen / jnsonderheit deroselben etliche inn dem Königreich Polen zu Cracaw jhre wonungen gesucht. Was sie nuhn darzu verursacht / solches beschreibt Jodocus Ludovicus Decius libero tertio de Sigismundi Regis Poloniae temporibus, welches ein Gelehrter fürtrefflicher Mann / vnnd Königs Sigmundi auß Polen Secretarius / vnnd von Weissenburg bürtig…«.
Vermutlich stammte Decius aus einer Weingutbesitzer-Familie. Er war intelligent und wendig, denn schon mit 14 Jahren war er in Mähren und in Schwaz/Tirol geschäftlich tätig. Bald hatte er so viel Kapital zusammen, daß er in ein Konsortium von Bergwerksbesitzern als Teilhaber eintreten konnte. Darunter befanden sich neben den Fuggers und Thurzos auch die Betmans. Seit 1507 arbeitete er für Jan Boner von Landau, der ihn 1511 zu Verhandlungen nach Frankfurt/Main schickte, 1515 nach Wilna, 1516 nach Brüssel, 1517 nach Venedig und Neapel. Decius soll von Jugend an sehr sprachbegabt gewesen sein. 1519 hatte er in Rom zu tun. Dort wurde er mit dem Ehrentitel Comes sacri Lateranensis palatii für Sponsoren der Kirche ausgezeichnet, ohne sich danach mit dem Titel zu schmücken. Der Kaiser zog nach mit dem Titel Vize Comes Palatii.
Decius erwies sich in vielen Situationen erfolgreich. So assistierte er 1518 bei der Heirat von Zygmunt I. mit Bona Sforza (1494─1557). Davon gab er in einem erhaltenen Bericht vom Mai 1518 Bericht, dediziert an den königlichen Vizekanzler und Humanisten Piotr Tomicki (1464─1535). Dieser verschaffte ihm 1520 die Gunst, einer der königlichen Sekretäre zu werden. 1536 baute er sich außerhalb Krakaus nach Entwürfen italienischer Architekten eine Villa Justus Freiheit (poln. Woła Justowska), die noch erhalten ist.
Doch Decius nahm nicht nur geschäftliche Vorteile wahr. 1521 sorgte er dafür, daß die Chronica Polonorum des Miechowita (s. Beitrag Kulmbach, Miechowita) von 1504 in Krakau gedruckt wurde, eine Summa verschiedener Chroniken, hauptsächlich auf der De vetustatibus Polonorum (Die Altertümer Polens) beruhend. Es folgte eine Geschichte der Jagiellonen (De Jagellorum familia, ein Resumé von Miechowita) mit einer Erzählung der ersten zehn Jahre der Herrschaft von Zygmunt I. Darin berichtet er auch von der Emigration nach 1440 der rd. 20 Weissenburger Familien nach Polen. Dabei plädiert er für eine Entente zwischen Polen und deutschen Immigranten und beklagt die Behandlung der Juden und Armenier im Lande. Er ermahnt seine neuen Mitbürger zur Eintracht, ohne die das Königtum ruiniert und von Moskowitern, Tartaren und Türken heimgesucht würde.
Durch seinen neuen Rang hatte Decius auch diplomatische Missionen auszuführen; so fuhr er u.a. an einige deutsche Höfe, kam 1522 nach Nürnberg und wollte Luther in Wittenberg kennenlernen. Man sieht: Er war auch gesellschaftspolitisch wach. Anschließend reiste er nach Rom und 1524 weiter nach Neapel. Das Herzogtum Bari gehörte nämlich zum Erbe der Bona Sforza und mußte dringend stabilisiert werden.
Der Ausflug in die Geschichte der Jagiellonen löst nicht unmittelbar die Frage nach der Dargestellten, indirekt verschafft er dem Portrait jedoch eine zusätzliche Ebene. Herausgekommen ist dabei eine weniger spektakuläre Auflösung des Personenrätsels, dafür eine mit hoher Wahrscheinlichkeit.
© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2017
Literatur
Albrecht Dürer. Schriften und Briefe. Leipzig 1973
Maria Cytowska. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 1985
Early German Paintings 1435─1550. Hg. Isolde Liebbecke. Madrid 1992 Bd. 1 S. 213
Bernhart Hertzogen: Chronicon Alsatiae. Straßburg 1592
Jacob von Königshoven: Die Alteste teutsche so wol allgemeine als insonderheit Elsassische und Straßburgische Chronicke. Straßburg 1698
Jean Rott. In: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne. Strasbourg 1983
Friedrich Winkler: Hans von Kulmbach. Kulmbach 1959 (Freunde der Plassenburg)
Thyssen-Bornemisza . Sammlung. Castagnola 1969 Bd. 1 S. 213
Bildnachweise
Thyssen-Bornemisza . Sammlung. Castagnola 1969 Bd. 2 Tafel 41
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d0/Annajagiello.jpg (14.10.2016)
academia.edu/12577255/Defining_the_Rožmberk._Residence_of_Kratochvíle_The_Problem_of_its_Architectural_Character (20.9.2016)