Erstveröffentlichung

Heinrich Füllmaurer
Thomas Herdert


49.02 Füllmaurer T.Herdert 240Die Gottfried-Keller-Stiftung besitzt das Bildnis eines 27jährigen Mannes, das als Leihgabe im Kunstmuseum Basel hängt (Öl/Tempera auf Linde 49,5 x 38 cm beschnitten auf 39 x 34 cm). Einem großen Publikum wurde es erst bekannt durch die Ausstellung Dürer · Cranach · Holbein 2012 in München. Dort konnte auch das Pendant, das Bildnis eines 34jährigen Mannes, ausgestellt werden, das hier ebenfalls besprochen wird. Als Hilfsnamen für den Urheber behalf man sich bei den beiden Portraits mit Monogrammist HF; weiter gelangten die Nachforschungen nicht. Zur Zeit der Entstehung gab es zwei Künstler im Süden Deutschlands mit diesen Initialen: Hans Franckenberger d. Ä., der vermutlich ca. 1520/50 in Straßburg tätig war, und Heinrich Füllmaurer (1500 Herrenberg ─ 1548), ein schwäbischer Künstler. Doch über beide existierten zu wenige Lebensdaten, als daß sich eine Zuschreibung untermauern ließ.

Nun ist jedoch vor kurzem von Thomas Bickelhaupt der mit 148 Tafeln umfangreiche Gothaer Altar (Arsprototo 2/2016) überzeugend Heinrich Füllmaurer zugeschrieben worden, da er starke stilistische 49.01-Füllmaurer-TH-NEB 240Übereinstimmungen zum Mömpelgarder Altar (Kunsthistorisches Museum, Wien Nr. 870) aufweist, als dessen Urheber Füllmaurer schon bekannt war. Insbesondere die Kartuschen ähneln den, mit Texten versehenen Feldern und sprechen für denselben Urheber. Hinzu kommt vor allem die Farbgebung, die Bevorzugung von warmen Tönen. Durch die detailreiche, minutiöse Ausführung sind die beiden Portraits Heinrich Füllmaurer zuzutrauen. Zudem fällt eine ähnlich bühnenartige Bildauffassung auf wie bei Ambrosius Holbein, über den gleichfalls wenig an biographischem Material vorliegt. Allerdings existiert sogar ein graphisches Portrait von Heinrich Füllmaurer. Hier ist er zusammen mit seinem 49.02-Füllmaurer-TH-NEB-I 240Gegenüber, Albertus Meyer, als Zeichner der rd. 500 farbigen Blumenbilder des berühmten Botanikers Leonhart Fuchs (1501─1566) aus Tübingen, dem Autor der beiden Kräuterbücher von 1540 und 1543, dargestellt. Diese, auf Akribie angelegte, zeitraubende Arbeit schließt sich im Detailreichtum an die Fülle der Szenen auf beiden Altäre an, obwohl die Thematik grundverschieden ist.

Doch zurück zu den Portraits von Steffanus und Thomas Herdert. Beiden Bildnissen sind manieristische Elemente eigen, wie sie sich auch bei dem etwas älteren Ambrosius Holbein finden; zeitlich denkbar ist daher ein kollegialer Austausch zwischen beiden Künstlern. Die Einbeziehung erfundener Architektur in die biblischen Szenen läßt auch den Gedanken 49.02-Füllmaurer TH-NEBFuchs 240Heinrich Füllmaurer: Leonhart Fuchs. 1525
Art Institute of Chicago, Charles H. and
Mary F. S. Worcester Collection, 1947.8
aufkommen, daß Füllmaurer möglicherweise Lehrling von Jörg Ratgeb (1480/85─1526) war, der sein Hauptwerk, den
Herrenberger Altar 1518/20 für die Geburtsstadt Füllmaurers schuf. Der Höhepunkt der wuchernden Architektur wird 1523 von Lancelot Blondeel erreicht im Triptychon des Cosmas und Damian. Christof Metzger (S.153) bemerkte in seinem Begleittext: »Im ganzen Bildaufbau übereinstimmend ist das 1518 datierte Portrait eines 20jährigen Mannes [Giacomo di Erlach] von Ambrosius Holbein (St. Petersburg) angelegt« (s. Beitrag Ambrosius Holbein, Erlach). Aber allen drei Portraits war bis vor kurzem eines gemeinsam: Die Porträtierten gaben ihre Identität nicht preis.


Vor der Wölbung im Bildhintergrund hängt links oben die Hälfte eines Feston, gebildet aus Blattwerk und goldenen Bändern, der links überleitet zum cartiglio im zweiten Portrait. Die Fortsetzung nach rechts bildet über dem roten Barett ein Täfelchen mit der Angabe AETATIS SVAE 27 und der Datierung M.D.XX.IIII d.h. 1524. Die Garderobe samt Zubehör lassen die Männer vermögend erscheinen. Der junge Mann (aus Basel) trägt einen roten Überrock und darüber einen breiten schwarzen Pelz. Dazu ist er mit einem breitrandigen, roten Barett und einem plissierten Hemd ausgestattet. An der linken Hand befinden sich zwei Ringe. Das bedeutet in der Regel, daß er über zwei Herrschaften (also Grundbesitz) verfügte. Im Hintergrund befindet sich eine brennende Kerze vor grünem, gerafften Vorhang; es könnte sein ´Lebenslicht´ sein d.h. die Person gibt damit zum Ausdruck, noch ein Leben vor sich zu haben, im Gegensatz zum älteren Bruder. Diese Vermutung liegt nahe, denn Ausdruck, Mundpartie und Locken beider Männer stimmen weitgehend überein und deuten auf ein Brüderpaar.

Die beiden von Füllmaurer Porträtierten waren offenbar gebildet, wie die lateinischen Vermerke und diverse Anspielungen (z. B. die Papierrolle in der rechten Hand) aussagen. Ferner sind sie offenbar als Ästheten einzuschätzen, denn sie geben sich modebewußt und sind wertvoll gekleidet. So läßt sich vermuten, daß sie sich vielleicht als Höflinge am Kaiserhof aufhielten. Aber ein Abgleich mit Personallisten des Kaiserhofs lieferte keine Anzeichen dafür. Auffällig bei den Bildern sind die Ausblicke auf eine beinah phantastisch anmutende Architektur (z. B. links neben der rechten Schulter auf ein tempietto).

Die beiden Portraits sind wie ein Diptychon angelegt. Ganz offenbar wird jeweils auf ein besonderes Beziehungsverhältnis zwischen beiden Personen angespielt. Hinzu kommt die gleichzeitige Entstehung beider Tafeln 1524. Daher drängt sich die Frage auf: Waren es Freunde oder Verwandte?

Der Standort der linken Tafel ist Wien und läßt einen Gedanken aufkommen, der weiterführen könnte, denn ohne eine humanistische Grundausbildung beider Personen sind die Portraits nicht denkbar. So lag es nahe, die Matrikel der Universität Wien durchzugehen ─ und siehe da: Das Wintersemester 1523 weist ein Brüderpaar auf. In der Rubrik NationisVngariae werden zwei ´Herren´ Herdert genannt: Steffanus und Thomas, welche sol.den (solidus denarius) bezahlt haben. Allem Anschein nach haben die beiden also ihre Studiengebühren in soliden Dinaren entrichtet. Vor ihren Namen steht der Vermerk dom. (dominus = Herr bzw. Ritter); hinter ihrem Namen wird mit episcopi die Diözese ihrer Herkunft angegeben; Thomas Herdert wird Zagrebiensis angehängt. Das bedeutet: Offenbar wurde er vom Bischof von Zagreb, das damals zu Ungarn gehörte, zum Studium delegiert. Da zu der Zeit die Bischöfe überwiegend Fürstbischöfe waren, gehörten zu ihren Gefolgsleuten nicht nur Kleriker, sondern auch Ritter.

Sofort wurde die Suche nach der Familie Herdert aufgenommen; doch leider blieb sie bisher erfolglos. So muß damit gerechnet werden, daß Herdert ein Hörfehler des Matrikelführers war, denn geschrieben wurde, was der Schreiber hörte; Kennkarten gab es nicht. Sollte stattdessen eigentlich Herwart stehen, ein weitverzweigtes Geschlecht von Adligen und Kaufherren? Oder sind diese beiden schmucken Adligen etwa schon zwei Jahre später bei der für den ungarischen König Ludwig (s. Beitrag Cranach, Szápolyai) verlustreichen Schlacht von Mohács gegen die Türken umgekommen? Auch das umfassende heraldische Werk, L’Armorial Général, 1934, von Rietstap kennt die Familie Herdert bzw. deren Wappen nicht mehr. Da selbst berühmte Adelsfamilien wie die der Frundsberg nach drei Generationen erloschen, ist diese Vermutung also nicht auszuschliessen.

Die Spurenlosigkeit der Familie Herdert steht im Gegensatz zu ihrem damaligen Vermögen, auf das Ausstattung bzw. die Szenen in den Ausblicken schliessen lassen. Die Bauten aber ─ phantasiereich und manieristisch überhöht ─ können auch Anspielungen auf die Bauten ihrer bischöflichen Herren sein, denen sie dienstverpflichtet waren bzw. die ihnen den Aufenthalt zum Studium in Wien finanzierten. Wieder bieten sich die Frundsbergs als Beispiel an. Der Sohn des erfolgreichen Vaters der Landsknechte führte bereits in jungen Jahren den Titel eines Domherrn in Augsburg und in Brixen, ehe er an der Universität Ingolstadt zu studieren begann und später an Feldzügen seines Vaters teilnahm. Solche heute divergierend erscheinenden Funktionen konnte man damals jedoch bruchlos miteinander vereinen.

© Christoph Wilhelmi Stuttgart 2016


Literatur
Reinhard Baumann: Georg von Frundsberg. München 1984
Thomas Bickelhaupt: Bilderpredigt in Cinemascope. In: ARSPROTOTO, Berlin 2/2016 S. 28 ff
Die Matrikel der Universität Wien. III: 1518/II ─ 1579/I. Wien/Köln/Graz 1971
Christof Metzger. In: Dürer · Cranach · Holbein. München 2012
Thomas Packeiser. In: Allgemeines Künstlerlexikon. München/Leipzig 2005 Bd. 46

Bildnachweis
Dürer · Cranach · Holbein. München 2012 S. 153
Thomas Bickelhaupt: Bilderpredigt in Cinemascope. In: ARSPROTOTO, Berlin 2/2016 S. 28/29
wikipedia.org/wiki/Heinrich_Füllmaurer (30.8.2016)

de.search.yahoo.com/search?p=leonhARD+FUCHS&fr=yfp-t-911 (30.8.2016)
artic.edu/aic/collections/artwork/59914 (30.8.2016)