Erstveröffentlichung

Heinrich Füllmaurer
Steffanus Herdert

49.01 Füllmaurer St.Herdert 240Über das Seitenstück zum Portrait des von Heinrich Füllmaurer (ca.1500─1548) gemalten Thomas Herdert verfügt die Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien (39 x 34 cm, Tempera auf Linde Nr. 572. 1524). Es wurde ebenfalls anläßlich der Ausstellung Dürer · Cranach · Holbein 2012 in München unter dem Titel Monogrammist HF, Bildnis eines 34jährigen Mannes, gezeigt. Im Begleittext wird der Dargestellte jedoch als der Musiker Stephan Mahu (1489/90 ─ 1541) vorgestellt.

Von diesem franko-flämischen Komponisten weiß man, daß er als Sänger und Posaunist in der Kapelle der Königin Anna tätig war, der Frau Ferdinand I. in Wien. Diese These wird von Christof Metzger mit dem aufgeschlagenen Notenbüchlein begründet, das der Dargestellte in der linken Hand hält. Die erste Textzeile des aufgeschlagenen Heftes läßt sich nämlich identifizieren. Hier wird das süddeutsche Liebeslied Ach hilf mich leid… zitiert, dessen Melodie von Mahu stammen soll. Dies ist zweifellos ein starkes Argument, wenn auch der Besitz eines Notenheftes nicht bedeuten muß, daß nur der Komponist darüber verfügte. Die feste Bindung des Buches und der am Block aufgetragene Goldschnitt lassen eher auf eine im Kauf erworbene Ausgabe, vermutlich eine Liedersammlung unterschiedlicher Komponisten, schliessen. Doch auch der Altersvermerk AETATIS SVAE XXXIIII spricht für Mahu, denn er ergibt das Geburtsjahr 1490. Um die Zeit soll Mahu in Flandern geboren sein.

Nun ist es den Musikwissenschaftler gelungen, allerlei biographisches Material über Mahu zusammenzutragen z.B. auch, daß er der Komponist von Martin Luthers Ein feste Burg ist unser Gott ist. Im Laufe seines Lebens hatte er vielerlei höfische Engagements, hielt sich aber 1524 wohl nicht in Wien auf. Verläßliche Lebensdaten für ihn gibt es erst ab 1528. Der Musiker Mahu war beliebt und erfolgreich; es wird aber von keiner Person berichtet, mit der er in besonders enger freundschaftlicher Verbindung stand wie beispielsweise ein Liederdichter, dessen Texte er vertonte, als daß daraus die besondere Form eines Diptychons erklärt werden könnte. Auch ist verwunderlich, daß Mahus wichtigstes Instrument im Bild nicht gezeigt wird: die Posaune.

Seine Todesahnung im Portrait von 1524, angedeutet durch das Skelett links oben, widerspricht zudem seinem erst 17 Jahre später erfolgten Tod. Hinzu kommt der Umstand, daß die beiden Männer des Diptychons auf Grund ihrer Garderobe als Adlige anzusehen sind. Vor allem die goldene Borte, die einer goldenen Kette gleicht, widerspricht eigentlich der Kleiderordnung für Bürgerliche. Ferner ist unwahrscheinlich, daß der von Hof zu Hof wandernde Sänger und Musiker so vermögend war, wie es Kleider und Zubehör erscheinen lassen. Neben dem linken Arm ist der Aufzug einer Wache erkennbar sowie der Auftritt eines Falkners, der einen Rassehund an der Leine führt ─ eher Zubehör eines Fürsten.

Daher ist es angebracht, eine andere Identität ins Spiel zu bringen, die den Vorzug hat, eine Lösung für beide Bilder anzubieten: Steffanus Herdert. Bringt man das unter Thomas Herdert entwickelte Konzept ein (s. Beitrag Heinrich Füllmaurer, Thomas Herdert), würde demnach auf dieser Tafel der ältere der beiden Brüder präsentiert. Dieser stand nach der Angabe des Malers (AETATIS SVAE XXXIIII rechts oben) im 34. Lebensjahr. Offenbar war er sich seiner Endlichkeit stark bewußt, da über der rechten Schulter Gevatter Tod mit der schon stark ablaufenden Sanduhr gezeigt wird. Über der ist verstärkend ein cartiglio angebracht mit dem Vermerk: BETRACHT / DAS ENDE. Geht man von dem Mahu-Lied Ach hilf mich leid… aus, befand sich Steffanus  Herdert wohl in einer unglücklichen Liebesbeziehung. Diese mag auf seine, auf Grund der Wiener Matrikel zu vermutende Position als Domherr zurückzuführen sein. Wahrscheinlicher jedoch ist anzunehmen, daß er sich von Krankheit bedroht fühlte, die zum Tode führen könnte. Interessanterweise spielte dieser Faktor auch bei dem berühmten Brüderportrait der Gesandten von Hans Holbein d. J. 1533 eine gewichtige Rolle.

Als Heimat für Steffanus wird in der Matrikel Strigonum (heute: Strigno am Valle Sugana) angegeben. Demnach wäre er nicht Ungar sondern Italiener gewesen? Aus Mangel an Informationen über die Familiengeschichte der Herdert läßt sich leider nicht klären, wie ein ungarischer Adliger eine Position in Strigonum/Strigno/Striegen bekommen konnte. Nur eins läßt sich mit Gewißheit sagen: In Strigonum gab es nur eine bescheidene Pfarrkirche und nie einen Bischof, jedoch in der Antike einen römischen Militärposten. Lag der Matrikel ein Hörfehler zugrunde, bei dem Strigonium mit dem ungarischen Szeged/Szegedin verwechselt und der lateinische Name der Stadt demnach vom Kanzlisten irrtümlich eingesetzt wurde? Die Stadt Szeged besitzt eine spätgotische Marienkirche und fiel 1542 an die Türken. Oder hat etwa Steffanus bei der Eintragung geschwindelt?

Fragen über Fragen. Weder das ungarische biographische Lexikon, noch das entsprechende kroatische verhalfen in dieser Angelegenheit zu einer Aufklärung des Sachverhalts.

© Christoph Wilhelmi Stuttgart 2016


Literatur
Thomas Bickelhaupt: Bilderpredigt in Cinemascope. In: ARSPROTOTO, Berlin 2/2016 S. 28 ff
Christof Metzger. In: Dürer·Cranach· Holbein. München 2012
Thomas Packeiser. In: Allgemeines Künstlerlexikon. München/Leipzig 2005 Bd. 46
Othmar Wessely/Walter Kreyssig. In: The New Grove. Dictionary of Music & Musicians. Vol. 21. London 2001
Die Matrikel der Universität Wien. III: 1518/II ─ 1579/I. Wien/Köln/Graz 1971

Bildnachweis
Dürer·Cranach· Holbein. München 2012 S. 152