Erstveröffentlichung


Jan Cornelisz Vermeyen

Antoine de Lalaing

73.04-Vermeyen-Lalang 240Von den Gemälden des Jan Vermeyen (ca.1500─1559) hängt eines seiner ausdruckstärksten Portraits in der Galerie der Akademie der bildenden Künste, Wien (Öl auf Holz 79 x 65,5 cm. 1530). Im Kontrast dazu steht der nichtssagende Titel des Bildes: Bildnis eines Mannes; dabei fordert die Gestik der Person doch geradezu heraus, Farbe zu bekennen, seine Identität herauszufinden. Offenbar hat die geballte Autorität des Dargestellten bisher eher eingeschüchtert.

Zu sehen ist eine staatstragende Person, die gewohnt war zu befehlen und sich auch durchzusetzen; den Gesichtsausdruck könnte man auch als hochfahrend bezeichnen. Zwar trägt der Mann ein flaches schwarzes Barett wie viele Akademiker. Der breite Schulterpelz über dem schwarzen tabard betont noch die massige Statur und streicht die Vermögenslage des Dargestellten heraus, der aus dem dunkelgrün verschatteten Hintergrund leuchtend hervortritt. So könnte man sich einen gewichtigen Richter an seinem Pult bei einer Urteilsverkündigung vorstellen. Aber die Handschuhe auf dem roten Sims am unteren Bildrand und die Linke am Schwertknauf lassen darauf schliessen, daß er zur Exekutive gehörte und Weisungen ohne Abstriche durchführte. Allerdings weisen die Handschuhe auch darauf hin, daß er auch als Diplomat eingesetzt wurde und sich auf dem europäischen Parkett souverän bewegte.

Die Frage, für welchen Hof dieser starke Mann tätig war, ist leicht zu beantworten: für den Kaiserhof in Flandern (zeitweilig Gent bzw. Mecheln). Das wird auch durch die Wahl des Künstlers aus Antwerpen bestätigt, der für diesen Hof tätig war und enorm viel Zeit für die Kartons (als Vorlagen für Tapisserien) aufwendete, die kaiserliche Eroberung von Tunis zu glorifizieren. Demgegenüber nehmen sich seine charaktervollen Portraits fast als Gelegenheitsarbeiten aus. Denkbar ist, daß ihre Anzahl durch die Zeitläufte geschrumpft ist.

Im Bild ergibt sich neben den Waagerechten des Simses und der Schultern eine dezente Diagonale durch den hellen Pelzrand des linken Ärmels hinüber zur rechten Schulter der Person. Auf dieser ´Linie´ hat Vermeyen genau mittig eine Bildnismedaille effektvoll auf dem tiefschwarzen Überrock platziert. Auf welche Person wird hier angespielt? Zunächst vermutet man das Profil eines Papstes mit Tiara. Aber unter den italienischen Bildnismedaillen findet sich in der Zeit (z.B. bei Clemens VII.) kein infrage kommendes Linksprofil mit Krone. Starke Ähnlichkeit tritt jedoch bei der Goldmedaille des umstrittenen Dogen (ab 1521) Antonio Grimani (1434─1523) auf, einem bedeutenden Mäzen, welche von 73.00-Vermeyen-NEB 240einem Nachfolger des Antonio Gambello (ca.1458─1481) stammt. Davon »existieren Kopien eines gewandten Silberschmieds« (Hill II Tafel 85 Nr. 454). Die Entstehung der Medaille wurde mit 1520/23 angesetzt.

Hätte sich ein kaiserlicher Diplomat mit dieser Gabe einer fremden Großmacht geschmückt? Das ist nicht auszuschliessen, wenngleich es oft Spannungen zwischen den Kaisern und der Republik Venedig gab. Doch 1538 hatte die venezianische Flotte den Transport der kaiserlichen Truppen gegen die Türken übernommen. Diese Aktion wurde ─ wie ein Kreuzzug ─ zu erheblichem Teil vom Papst finanziert (Brandi: Karl V. S. 345ff). Offenbar war in dieser Angelegenheit Antoine de Lalaing der europäische Koordinator.

Festzuhalten ist: Es handelt sich um einen sehr selbstbewußten, weil erfolgreichen Unterhändler des Kaisers Karl V., der in dessen Namen agierte. Dieser Personenkreis ist namentlich noch weitgehend bekannt, nur sind von manchen Personen merkwürdig wenig Angaben zur Person zurückgeblieben, wodurch die Auswahl erschwert wird. Vom Alter her kann man aber davon ausgehen, daß hier ein etwa fünfzigjähriger Diplomat auftritt. Somit kommt Antoine de Lalaing, Graf Hochstraaten (ca.1480─1540) infrage, der für den Kaiser sowohl auf diplomatischem Parkett als auch zu Felde tätig war.

Seine Familie rechnete schon zur Zeit Karls des Kühnen (1433─1477) zur burgundischen Oberschicht. Joost van Lalaing übte 1480-83 das Amt des Statthalters der Provinz Holland aus. Über Antoines Schulbildung liegen keine Nachrichten vor. Er gehörte schon in jungen Jahren zur Entourage von König Philipp dem Schönen (1478─1506) und reiste mit ihm 1501 nach Spanien. »Sein Reisetagebuch aus Spanien im Gefolge Philipps zeigt den Zweiundzwanzigjährigen als einen Mann von Blick und Bildung« (Brandi S. 30). Nach Philipps Tod 1506 wurde er von seinem Sohn, dem Prinzen Karl, in dessen Stab übernommen. Unter der kaiserlichen Statthalterin Margarete von Österreich (1480─1530) erfolgte die Ernennung zum Kammerherrn. 1513 erhielt er die Beförderung zum Stellvertreter des grand chamberlain und wurde Administrator der Finanzen. Als solcher gehörte er zum engeren Beraterstab bei Hofe, wurde zum chevalier d’honneur bestimmt und 1524 zum stadhoulder, d.h. Gouverneur der Provinzen Holland und Zeeland, und ab 1530 auch von Utrecht, ernannt. Somit entstand das Portrait auf der Höhe seiner Macht.

Durch seine unaufgeregte Art und sein Finanzgeschick erhielt Lalaing unter Margarete starken Einfluß auf die gesamte Politik. Doch in der Bevölkerung verlor er an Ansehen, weil sein Amt ihm abverlangte, enorme Gelder für die Kriegszüge Karl V. aufzubringen. Testamentarisch hatte Margarete verfügt, Antoine de Lalaing sollte zusammen mit Jean de Carondelet (1469─1545) ihr Testamentsvollstrecker sein. Damals nahm sein direkter Einfluß auf die Politik bereits ab, weil durch die Nachfolgerin eine personelle Umorganisation stattfand. Staatsrat blieb er jedoch auch unter Maria von Ungarn (1505─1558).

1509 hatte Lalaing Elisabeth van Culemborg geheiratet, die vermögende Erbin von Hoogstraten. Sie stimmte der Titelübertragung an ihren Mann zu, der sich von nun an Graf van Hoogstraten nennen durfte. Den Reichtum des Paares wußte er durch kluges Management zu mehren. Nach dem Vorbild anderer Humanisten konzentrierte er sich nicht völlig auf Politik und Finanzen, sondern verfügte über eigene Interessengebiete. So galt er als Förderer des Franziskaner-Ordens, der sich damals ─ inquisitionsnahe ─ für die Kirchenrestauration einsetzte (die politische Linie von Karl V.).

Als der Bischof von Utrecht, Philippe de Bourgogne, 1524 starb, kaufte Lalaing dessen bemerkenswerte Bibliothek auf ─ ein deutliches Indiz für seine humanistische Neigung. Außerdem ist er als Bauherr in Culemborg, Hoogstraten, Brüssel und Mecheln bekannt geworden. Das erheiratete Vermögen eröffnete ihm die Chance, seine Neigung zur Architektur auszuagieren.

© Christoph Wilhelmi Stuttgart 2016


Literatur
Karl Brandi: Kaiser Karl V. Frankfurt 1979
George Francis Hill: A Corpus of Italian Medals of the Renaissance before Cellini. I London 1930 Taf. 85
Hendrik J. Horn: Jan Cornelisz Vermeyen. I/II Doornspijk 1989
Heide Stratenwerth. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003
Josef Strelka: Der burgundische Renaissancehof Margarethes von Österreich und seine literarhistorische Bedeutung. Wien 1957
Ursula Tamassino: Margarete von Österreich. Graz 1995
Alphonse Wauters. In: Biographie Nationale de Belgique. Vol. XI. Bruxelles 1890/91

Bildnachweise
Peter van den Brink (Hg.): Joos van Cleve. Leonardo des Nordens. Stuttgart 2011 Abb. 63
George Francis Hill s.o. Vol. II. Taf. 85 Abb. 454