Erstveröffentlichung
Hans Baldung Grien
Thomas Vogler
In der Royal Collection im Buckingham Palace, London, befindet sich ein Portrait of a Man with a Rosary (Öl auf Holz, 51,6 x 36,9 cm) von Hans Baldung Grien, das auch als Bildnis eines Jünglings mit Rosenkranz bezeichnet wird. Bisher wollte keine Identifizierung der dargestellten Person gelingen, da das Portrait außer dem Rosenkranz wenig Anhaltspunkte zur Aufklärung bietet.
Immerhin hat es oben eine Inschrift: ANNA DNI und ist 1509 datiert. Dazwischen ist eine Arabeske eingeschoben; sie zeigt einen von rechts eine, auf einem Zweig mit Blume sitzende Eule angreifenden Vogel. Die Bearbeiter des Karlsruher Baldung-Katalogs bezeichnen ihn als einen Reiher. Aber auf diese Anspielung ließ sich bisher kein Reim machen, zumal die Bezeichnung Reiher für den kleinen Vogel wenig überzeugt. Walter Huglshofers Sicht war jedoch, daß es sich dabei um »ein häufig vorkommendes Symbol für den Kampf des Guten gegen das Böse« handle. Tatsächlich hat die Eule neben ihrer antiken Bedeutung der Weisheit auch die mittelalterliche des Bösen, weil Dunklen und Nächtlichen. Wilhelm Molsdorf (Nr. 1016) erwähnt »Die Eule, die das Sonnenlicht nicht vertragen kann und daher von anderen Vögeln verspottet und verfolgt wird, wenn sie sich an den Tag wagt«. Auch der bei Cirlot angebotenen Deutung der beiden Vögel als Metaphern für den Morgen und die Zeugung des Lebens ist wenig abzugewinnen, zumal sie auf der ägyptischen Metaphorik beruht, die wahrscheinlich um 1500 am Oberrhein garnichtbekannt war. So ist auf diesem Wege wenig gewonnen. Am nächsten kommt das Beispiel der EMBLEMATA, das eineEule zeigt, die von Vögeln beschimpft wird. Gemeint ist damit: »Die Unwissenden hassen die Künste«. Der von Baldung gemalte Vogel wäre demnach ein pars pro toto.
Wie bei den anderen Portraits von Baldung ist von einer Person aus dem Oberrheingebiet auszugehen. Die Datierung des Bildes verrät leider nicht zugleich das Geburtsjahr. Dieses läßt sich nur vermuten, wenn man den jungen Herrn auf Anfang zwanzig schätzt. Damit gehört er vom Jahrgang her in den Umkreis der Humanisten im oberrheinischen Städtedreieck Basel, Freiburg, Straßburg.
Unter diesen befand sich auch ein Literat namens Thomas Vogler (ca. 1485 Obernai─1532 Stephansfeld bei Brumath im Elsaß). Er gehörte zu den von Erasmus von Rotterdam (1466/69─1536) belobigten Autoren des Elsaß, die in Straßburg eine societas gebildet hatten, einen literarischen Zirkel, der mit Erasmus korrespondierte. Als Erasmus 1514 diesen besuchte, trug Vogler sechs eigene Distichen zum Lob des Erasmus vor.
Doch daraus läßt sich noch nicht schliessen, daß Vogler auch der von Baldung Porträtierte sein muß. Aber Vogler benutzte für sich variierend lateinische Pseudonyme, welche diese Vermutung dafür nahelegen:
Didymus Auceps Aucuparius Ornithoteras Myropola
Der Bedeutungshintergrund dieser Namen kann hier nur gestreift werden:
- Didymus war ein Grieche aus Alexandria und lebte von ca. 310 ─ ca. 398 als Lehrer und Schriftsteller. Er betrachtete sich als Anhänger des Origines (185─254) und kämpfte publizistisch gegen die kirchlichen Abweichler, Arianer und Manichäer. Der Kirchenvater Hieronymus fand seine Auslegung der Psalmen bedeutsam und übersetzte sie ins Lateinische.
- Auceps ist mit Vogelfänger zu übersetzten und daher die Latinisierung von Voglers Familiennamen; man denke an Heinrich den Vogler, der am Vogelherd saß.
- Aucuparius ist ein Synonym für Auceps.
- Ornithoteras ist das griechische Wort für Vogelfänger. Es soll anzeigen, daß Vogler auch des Griechischen mächtig war.
- Myropola schließlich läßt sich schwer auflösen, denn aus dem Griechischen übersetzt heißt es Salbenkrämer. Denkbar wäre, daß dieser Name als Rolle in einem griechischen Lustpiel vorkam. Vogler hat nämlich u.a. Terenz übersetzt und zum Schuldrama umgearbeitet.
Über das Leben des Thomas Vogler ist nicht mehr viel bekannt. Sein Herkunftsort war derselbe wie von etlichen Humanisten der Gegend, z.B. Thomas Murners: Oberehnheim (heute Obernai) im Elsaß. Die erste Erwähnung des Ortes fällt in die Stauferzeit. Sie gelangte in den Machtbereich der Stadt Straßburg. Wo Vogler studierte, kann nur vermutet werden (möglicherweise Italien). Seine erste Arbeitsstelle war bei der Almosenpflege des Straßburger Münsters, sozusagen beim Sozialamt der Kirche. 1511 legte er in Freiburg sein juristisches Examen ab, wohnte danach aber wieder in Straßburg. 1525 konnte er Kanoniker an St. Stephan werden und hatte somit eine materiell gesicherte Existenz, die ihm Zeit für seine philologischen Studien ließ. Er war seither hauptsächlich mit Editionsarbeiten für Straßburger Drucker beschäftigt (z. B. der Herausgabe der Werke des namhaften Humanisten Poggio Bracciolini) und wichtiges Mitglied der societas.
Doch den Übertritt der Stadt zur Reformation machte er nicht mit, wohl aus Sorge um seine Existenz. Die Vogelanspielung daher so zu deuten, daß er als weise Eule den Angriff der neuen, ´reinen´ Lehre tapfer aushält, wäre verfehlt, da 1509 davon noch keine Rede war. Dennoch spricht gerade die Vogel-Metaphorik stark für die Identität Voglers mit dem von Baldung Porträtierten, da Vogler weiter der alten Kirche anhing und sich ähnlich verhielt wie Didymus zu seiner Zeit.
© Christoph Wilhelmi Stuttgart 2015
Literatur
J. E. Cirlot: A Dictionary of Symbols. London 1971
Hans Baldung Grien. Karlsruhe 1959 S. 40 Nr. 9
EMBLEMATA. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Stuttgart 1976, S. 894
Walter Huglshofer: Nachträge zu Baldung. Freiburg/Br. 1932. In: Oberrheinische Kunst V. S. 197 ff.
Wilhelm Molsdorf: Christliche Symbole der Mittelalterlichen Kunst. Leipzig 1926, S. 183
Bildnachweis
Hans Baldung Grien. Karlsruhe 1959 S. 40 Tafel 2
EMBLEMATA. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Stuttgart 1976, S. 894