Unbekannter Künstler
Joachim Egellius

71.52-Egellius-240Seit jeher umgibt dieses Portrait eines Stadtschreibers, wie Ernst Buchner das Bild betitelt, das auch Porträtartiges Brustbild eines alten Gelehrten genannt wird, eine geheimnisvolle Aura, zumal es bei einer späteren Übermalung mit einem Strahlenkranz die Beschriftung Pius Joachim bekam. Vielleicht zog sich das Kunstmuseum Basel (Tempera auf Linde 42 x 37,5 cm. Nr. 469) deshalb auf die ebenso neutrale wie nichtssagende Aussage zurück: Bildnis eines alten Mannes. Schon viele Autoren haben sich mit ihm beschäftigt; bereits 1953 war die Literaturliste zum Gemälde ungewöhnlich lang. »Das markante Werk muß vorläufig ein Rätsel der deutschen Kunstgeschichte bleiben« (D. Burchhardt-Werthemann), hieß es schon 1897 im Basler Katalog. Das Bild wurde jedoch frühzeitig geschätzt, denn es stammt aus dem legendären Amerbach-Kabinett, dem Besitzer des von Hans Holbein d. J. porträtierten Humanisten und Sammler Bonifacius Amerbach (1495─1562), und wurde dort 1586 erstmals registriert.

71.52-Egellius-240-StrahlMeister der Ulrichslegende:
Bildnis eines Stadtschreibers,
Übermalte Version
Erörtert wurde auch, ob das Portrait nicht in Anabaptistenkreisen entstanden sein könnte. Doch durch die heftige Unterdrückung der Wiedertäufer (s. Beitrag Zehender, Susanna Daucher) sind viele Spuren dieser Bewegung vernichtet worden. Die Bewegung beschränkte sich nicht auf die Stadt Münster/Westfalen ─ für kurze Zeit 1534/35 ihre Hochburg ─, sondern war in vielen Städten verwurzelt u.a. in Köln und Augsburg, dem Schauplatz vieler Reichstage.


Auf jeden Fall kann man sich unter dem gemütvollen älteren Mann sehr gut eine volkstümliche Persönlichkeit vorstellen. Seine Frömmigkeit wird durch den Rosenkranz unterstrichen. 1900 wurde konstatiert: »von späterer Hand mit einem Strahlennimbus und der Bezeichnung Pius Joachim versehen«. Zusammen mit den Briefschaften, die an der Wand im Hintergrund festgeklemmt sind, läßt sich an einen väterlichen Ortsvorsteher denken. Leider wurde das Bild nicht datiert, so daß dieser weißhaarige Alte sich schwer zuordnen läßt.

Wenn man die Zeit um 1540 am Oberrhein nach einer solchen Persönlichkeit absucht und dabei die Charakterisierung Pius Joachim im Auge hat, bieten sich zwei Humanisten an, die infrage kommen könnten. Einer von ihnen ist Doctor Ioacinus, mit bürgerlichem Namen Joachim Egellius. Dieser anscheinend aus Ravensburg stammende Mann taucht 1508 bis 1510 beim Studium in Paris auf und zählt zu den Korrespondenzpartnern von Erasmus von Rotterdam. In Paris studierte er zusammen mit seinem Vetter Michael Hummelberg (s. Beitrag Unbekannter Künstler, M. Hummelberg) bei dem namhaften Humanisten Girolamo Aleandro (1480─1542), der seinerseits mit Erasmus zusammenarbeitete, aber Karriere im Vatikan machte und als Nuntius eingesetzt wurde. Nach Paris zu gehen soll Erasmus Aleandro empfohlen haben ─ wiederum ein Beispiel für Netzwerke unter Humanisten.

71.52-Egell-NEB-2Agostino die Mesi gen.Veneziano:
Hieronymus Aleander. 1536
Kupferstichkabinett, Berlin Nr. 6028-1877
Eigentümlich ist nun, daß es von Aleandro einen Kupferstich gibt, den Agostino Veneziano gemacht hat; auf diesem ist er wie Pius Joachim als Halbportrait nach rechts abgebildet. Die Übereinstimmung geht aber noch weiter: An der Rückwand unter einem Bücherbrett befindet sich ebenfalls eine Halterung, an der Briefe befestigt sind. Es ist denkbar, daß Pius Joachim dieses Portrait kannte und als Vorbild für seinen eigenen Portraitauftrag nutzte. Beide Porträtierte tragen dazu eine Kopfbedeckung, wenn auch unterschiedliche, bedingt durch ihr Herkommen; Aleander ein Birett. Auffällig ähnlich ist auch die Handhaltung bei beiden Portraits rechts unten am Bildrand, obgleich die Hände unterschiedliche Gegenstände halten.


Über Joachim Egellius (ca. 1485/95 ─ ca.1545) ist wenig bekannt; 1511 hatte er sich nach Montpellier begeben. Vordem soll er Geistlicher gewesen sein. Mit einem Landsmann zusammen zog er nach Wien weiter. Dort trafen sie auf den Humanisten Joachim Vadianus (1484─1551) und blieben mit diesem in Kontakt. Man nimmt an, daß Egellius in Wien als Mediziner promovierte, bevor er nach Ravensburg zurückkehrte und dort lebenslang als Stadtarzt praktizierte. Die meisten Details über Egellius trug B. Milt zusammen. 71.52-Egell-NEBUnbekannter Künstler:
Joachim Vadianus / Joachim von Watt
»Wenn dem mit Geschäften aller Art überhäuften St. Galler Arzt und Staatsmann [Joachim Vadianus] die Zeit für langwierige Behandlungen fehlte, überwies er seine Patienten an seine Freunde am [Boden-]See. So behandelte … für ihn … Dr. Egellius die Gemahlin eines Otmar Zollikofer von St. Gallen« (Milt S. 265).


Vom Vornamen her wäre zwar auch Joachim Vadianus als Dargestellter denkbar sowie von seiner etwas grob angelegten Physiognomie. Aber dieser erscheint auf seinem Portrait, das sich in der Kantonsbibliothek Vadiana in St. Gallen befindet, strenger und unnahbarer (vor allem in der Mundpartie), während das Gemälde deutlich eine gewisse Bonhomie ausstrahlt. Eine zur Klärung nützliche Vergleichsabbildung von Egellius gibt es anscheinend nicht. Er tritt in dem Portrait als ca. 50jähriger auf. Seinem bislang vermuteten Geburtsjahr 1495 nach wäre das Portrait dann in seinem Todesjahr entstanden. Das aber ist sehr unwahrscheinlich, da er auf dem Bild sehr lebensvoll wirkt. Außerdem wäre er deutlich jünger gewesen als sein Cousin Hummelberg, der 1487 geboren sein soll. Daher ist bei dem Portrait Egellius eher anzunehmen, daß der um 1485 geboren wurde, denn wie hätte er sonst 1511 schon geweihter Priester sein können? Sein Portrait müßte dementsprechend um 1535 entstanden sein und damit um die gleiche Zeit mit dem von Aleandro. Graphische Portraits wurden von den Dargestellten in ihrem Freundeskreis verteilt. So kann man davon ausgehen, daß Egellius einen Abzug des Kupferstichs besessen hat. Der Rosenkranz in seinen Händen gibt zu erkennen, daß er zur altgläubigen Partei gehörte und von dieser mit der Bezeichnung Pius geehrt wurde, eventuell nachträglich.

(c) Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2022

Literatur
Peter G. Bietenholz. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 1995
Ernst Buchner: Das Deutsche Bildnis der Spätgotik und der frühen Dürerzeit. Berlin 1953 S. 65ff, S. 174
Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003
B. Milt: Beitrag zur Kenntnis der mittelalterlichen Heilkunde am Bodensee und Oberrhein.
In: Notizen zur schweizerischen Kulturgeschichte . 110. Beitrag. Zürich 1939 ngzh.ch/archiv/1940_85/85_3-4/85_47.pdf (12.6.2017)


Bildnachweise
Ernst Buchner: Das Deutsche Bildnis der Spätgotik und der frühen Dürerzeit. Berlin 1953 Tafel 55
dto S. 66
wikipedia.org/wiki/Hieronymus_Aleander#/media/File:Aleander,_Hieronymus.jpg (14.6.2017)
Deutsche Fotothek
Die Porträtsammlung der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Reihe A Nr. 22565
https://vfr.mww-forschung.de/suche (2.3.2022)