Unbekannter Künstler
Christoph Glockengiesser

71.01-Glock-240Das Portrait eines 25jährigen Mannes (Öl auf Holz, 39 x 33 cm. 1528) gehört schon seit langem zum Bestand des Louvre (Nr.1350) und gilt als prototypisches Bildnis eines deutschen Patriziers der Renaissance. Es ist offenbar ein Brautwerbebild, denn der 25jährige hält in der Linken die obligate rote Nelke. Doch damit endet schon die Kenntnis von dem Leben des Dargestellten. Früher wurde vermutet, es handle sich um einen Augsburger Künstler, also ein Bild aus der Hauptstadt der damaligen Finanzströme Europas.

Da das Portrait mit 1528 datiert ist und der Vermerk oben rechts neben dem dunklen Barett das Alter mit 25 Jahren angibt, geht daraus das Geburtsjahr 1503 hervor. Dies ist noch die Zeit, in der man die Lebensdaten der Bürger nicht systematisch registrierte. Aber auch unter den mit diesem Jahrgang Erfaßten ergab sich zunächst keine Lösung.

Wie manches Mal kam ein Zufall zur Hilfe. Beim Blättern in dem Verzeichnis der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel fiel bei einer anderweitig orientierten Recherche der Blick auf den Kupferstich (A 7843) eines gleichaltrigen Juristen: Christoph Glockengiesser (1504─1539). Obwohl das Portrait von einem routinierten Stecher (S. Hoyer ?) über hundert Jahre später ausgeführt wurde, ergeben sich zwischen Gemälde und Kupferstich erstaunliche Übereinstimmungen:

- Blickrichtung
- Art und Tragweise des Baretts stimmen überein
- plissiertes Hemd
- breitgelagerte Schaube
- keilförmiger Abnäher
- Schmucklosigkeit an Barett und Ausschnitt
- Betonung des Kinns
- Mundhaltung
- Pagenkopffrisur mit verdecktem Ohr

Das Gemälde hat durch Sorgfalt der Ausführung, Vorzeigen der Hand mit der Nelke und schmalen Pelzkragen dem Kupferstich einiges voraus, unterscheidet sich jedoch nicht in der dargestellten Person. Die Abnäher an der Schaube stimmen zwar nicht im Detail bzw. Material völlig überein (das Gemälde präsentiert hier einen ca. 7 cm breiten roten Besatz). Interessant ─ und damit die Übereinstimmung verstärkend ─ ist jedoch die doppelte Keilform im Zusammenhang mit dem Ausschnitt der Schaube. Obwohl in der Graphik keine Farbe zur Verfügung stand, hat der Stecher aber die Winkelform von Pelz und rotem Besatz in der Wirkung durch Schraffuren ersetzt. Höchst wahrscheinlich ist, daß dem Stecher das Gemälde als Vorlage zur Verfügung stand, zumal beide ¾ Portraits fast die gleiche Ausrichtung des Kopfes zeigen. Das Gemälde jedoch ist lebensnaher und gekonnter ausgeführt. Im Stich befindet sich unter dem Oval des Portraits eine Kartusche mit dem Namen DOMINVS CHRISTOPHERVS GLOCKENGIESSER:

Um wen handelt es sich bei Christoph Glockengiesser? Obwohl er qua Amtes zu Lebzeiten eine geachtete Persönlichkeit gewesen sein muß, geben die bekannten biographischen Nachschlagewerke wie ADB und Zedler keine Auskunft. Die Redaktion des Wolfenbüttler Katalogs hat herausgefunden, daß er Stadtkämmerer in Regensburg war und 1530 die Stadt auf dem Reichstag in Augsburg vertreten hat. Dort war er auch als herzoglicher Gesandter tätig. Somit wurde er als ´Herr´ bezeichnet und trug seine patrizische Kleidung zu recht, wie sie auf dem Gemälde und auf dem Stich (A 7843. 17 x 10,8 cm), den die Herzog-71.01 Glock-NEBAugust-Bibliothek dem Martin Heinrich Omeis (1650─1703) zuweist, zu erkennen ist.

Während das Gemälde sich eher kühl präsentiert und nur drei Gegenstände hervorhebt (Pelzkragen, Ring, Nelke), setzt der Stich im Sinne von de mortuis nihil nisi bene zur Lobpreisung des längst Verstorbenen an. Glockengiesser wird in Superlativen geschildert: prudentissimus (der Klügste) und gravissimus (der Gewichtigste). Offenbar hielten die Auftraggeber den Stecher an, den Nachruhm zu betonen.

Aus den vier Zeilen zur Person geht hervor: Glockengiesser war kein einfacher Bürger, sondern ein Herr, der möglicherweise geadelt worden war und eine berühmte Bibliothek besaß. Er wird auch als klügster Konsul (Berater) beim herzoglich regierten Regensburg gewürdigt sowie als gewichtiger Gesandter. Seine Lebensdaten werden in dem Stich mit 1504─1539 angegeben. Vordergründig käme Glockengiesser wegen des Jahrgangs nicht infrage, da sich aus den Daten im Bild (1528 minus 25) der Jahrgang 1503 ergibt. Es ist jedoch keineswegs ausgeschlossen, daß er sich im 1. Halbjahr 1528 porträtieren ließ, als er noch 24 Jahre alt war, sein Geburtstag aber ins zweite Halbjahr fiel, in dem er das 25. Lebensjahr erreichte. Potentielle Konkurrenten des Jahrgangs 1503 waren jedoch entweder Theologen oder Adlige, welche für die Garderobe des Dargestellten nicht infrage kommen.

Bei dem Namen Glockengiesser ist anzunehmen, daß er aus der namhaften und zu Ansehen gelangten Familie Glockengiesser stammte. Offenbar eröffnete die materielle Grundlage der Eltern ihm die Möglichkeit, an prominenten Universitäten Jura zu studieren und sich dadurch für ein solches verantwortliches Amt zu qualifizieren. Durch den Mangel an überlieferten Nachrichten kann nur geschlossen werden, daß er 1528 standesgemäß heiratete (wahrscheinlich in eine patrizische Familie einheiratete, die ihm den weiteren Aufstieg erleichterte). Diesen Weg gingen z.B. die Fugger. Mit 26 Jahren das bedeutende Stadtregiment zu vertreten, ist jedoch als Ausnahme anzusehen und spricht für seine fachlichen Qualitäten. Welche Ursache zu seinem verfrühten Tod führte (denatus 1539) bleibt bei diesem Stand an Information leider weiterhin verborgen.

(c) Christoph Wilhelmi Stuttgart 2022
 
Literatur
Der LOUVRE. Alle Gemälde. Köln 2012 S. 439

Bildnachweis
Der LOUVRE. Alle Gemälde. Köln 2012 S. 439
Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel. Reihe A. München u.a. 1989 Bd. 9 A 7843