Erstveröffentlichung

Unbekannter Künstler
Martin Frecht

71.17-UK-M.Frecht 240Dieses Bildnis eines Mannes vor blauem Grund von einem unbekannten Künstler (Öl auf Eiche 71 x 55 cm. Gemäldegalerie, Berlin Nr. B 94) um 1530/40 führt ein Schattendasein. Es kam 1936 »durch ministerielle Verfügung« an die Gemäldegalerie und wurde von Irene Geismeier eingestuft, es habe »enge Bezüge zur Augsburger Bildnismalerei«. Es zeigt einen vornehm erscheinenden Mann mit breitem Pelz und eleganter Schaube. Er trägt ein dunkles, flaches Barett, wie es Akademiker bevorzugten, und einen geteilten Vollbart. An den Händen sind ca. drei Ringe zu erkennen.

So ist der einzige Anhaltspunkt, den Fall aufzuklären, nur das schwer lesbare cartiglio (gemaltes Kärtchen), auf dem sich einige undeutliche Wortfragmente erhalten haben:

A …f-c, …oette …M … F… 38 Etate msia 46 et 47

Aus diesen Fragmenten läßt sich entnehmen, daß eine Person mit M als Vorname und F als Nachname gemeint sein könnte, die damals (1538?) 46 Jahre alt war, und mit einer Frau von 47 Jahren verheiratet war, deren Bildnis offenbar verloren gegangen ist. Insofern scheidet Melchior Fattlin (ca. 1490─1548) aus, der 1518 zum Weihbischof von Konstanz ernannt wurde und ein entschiedener Vertreter der Gegenreformation war.

Unter Berücksichtigung der Defekte kämen noch der elsässische Lehrer Matthias Erbius und ─ bei umgekehrter Buchstabenfolge ─ der Wiedertäufer Felix Manz infrage. Doch insgesamt ist die Kombination M F zu der Zeit selten. Da diese Personen sowohl vom Herkommen wie von der abweichenden Region her ausscheiden, konzentriert sich der Blick auf Martin Frecht (ca.1494 Ulm ─ 1556 Tübingen), zumal dem isolierten A eine Bedeutung: aus Augsburg zukäme.

Dieser ist für die Zeit insofern eine charakteristische Figur, als er sich schrittweise bzw. vorsichtig der Reformation annäherte. Dabei orientierte er sich an Philipp Melanchthon, der sich stark für die Neuordnung des Schulwesens einsetzte. 1515 war er bereits Baccalaureus und 1517 schon Magister.

Sein Studium begann Frecht in Heidelberg. Bei der Heidelberger Disputation 1518 erlebte er Luther authentisch. 1524 beteiligte er sich an einem Ehrengeschenk für Melanchthon. Als er 1529 zum Theologie-Professor berufen wurde, lehnte er sich mehr an Martin Bucer (1491─1551) an, der zwischen Luther und Zwingli zu vermitteln suchte. Frecht pflegte Kontakte zu vielen Theologen seiner Zeit.

Der Rat der Stadt Ulm richtete 1528 ein Schreiben an Frecht, um ihn für die Neuordnung der Schulen in Ulm zu gewinnen. Doch Frecht ließ sich Zeit und schloß erst seine Hochschulkarriere ab. Seine Edition der Res Gestae Saxonicae von Widukind von Corvey erschien 1532.

Erst 1531 nahm er die Funktion in Ulm an. Als der beliebte Prediger, Conrad Sams, 1533 starb, machte der Rat der Stadt Frecht zum Nachfolger, »obwohl er ihm weder an Beredsamkeit noch an Popularität gleichkam. Mehr fürs Katheder als für die Kanzel geeignet… [trug er] schwer an seinem Amt« (Wagenmann). Nebenbei war Frecht Beiträger in einem, von Johannes Stöffler (s. Beitrag Cariani, Stöffler) 1518 herausgegebenen Calendarium. Frecht wird auch von Schertlin von Burtenbach erwähnt: »Die Ulmer hätten ihren ´vornehmsten´, Martin Frecht, nach Dillingen gesandt, und Augsburg dürfe in diesen Dingen nicht zurückbleiben«, zitiert Friedrich Roth (S. 395). Frecht nahm an mehreren Religionsgesprächen teil.

Mit Bedauern verfolgte Frecht die Verhandlungen zwischen den Lutheranern und den Anhängern Zwinglis, weil sie nicht zu befriedigenden Ergebnissen gelangten. »Noch schwerere Sorgen bereiteten ihm die seit 1533 in Ulm um sich greifenden sectiererischen Umtriebe der Wiedertäufer, Sebastian Francks und K. Schwenkfelds« (Wagenmann).

Während sich Frecht mehr und mehr der Ausrichtung der Lutheraner annäherte, traf ihn die Niederlage der Protestanten durch die verloren gegangene Schlacht des Schmalkaldener Bundes (der Protestanten) bei Mühlberg 1547 hart. In der Folge setzte der Kaiser, der 1548 in Ulm einzog, das Interim durch, eine Art Rückabwicklung zugunsten der katholischen Partei. »Als Frecht auf des Rathes Aufforderung in einem ausführlichen Gutachten gegen das Interim sich aussprach, wurde er zuerst von Granvella [dem Kanzler] nach Augsburg citiert, leistete aber dieser Berufung keine Folge. Als darauf der Rath gegenüber dem entschiedenen Verlangen des Kaisers zur Annahme und Verkündigung des Interims sich bequemte, verlangte Frecht seine Entlassung« (Wagenmann).

Erst nachdem die Beteiligten Urfehde geschworen hatten d.h. versprochen hatten, ihre oppositionelle Haltung aufzugeben, ließ Philipp von Spanien, der Sohn Karls V., sie frei. Gravierend für Frecht war daran, daß ein Versprechen »die Stadt Ulm auf ewige Zeiten zu meiden« damit verbunden war. Es folgten daher für ihn klägliche Jahre, in denen er bei seinen Verwandten Unterschlupf erbitten mußte.

Die Wende für ihn führte Herzog Christoph von Württemberg (1515─1568) herbei, indem er Frecht als maior domus für das Tübinger (theologische) Stift berief und ihn im Jahr 1552 zum ordentlichen Professor in Tübingen berief. »Hier erlebte er noch einen freundlichen und gesegneten Lebensabend, der nur durch erneute Vorwürfe wegen seiner Abendmahlslehre noch einmal gestört wurde. Auch die Ulmer dachten daran, ihn wieder als ´Superattendenten´ für ihre Kirche zu gewinnen« (Wagenmann).

Die wenigen Beigaben lassen leider keine eindeutige Identifikation zu. Doch die edle Garderobe spricht für einen, aus dem Besitzbürgertum hervorgegangenen Professor, zu dem das flache Barett paßt, zumal von seinem Bruder bekannt war, daß er Ratsherr und Zunftmeister in UIm war. Daß die Person ein Humanist sein muß, geht aus der lateinische abgefaßten Inschrift hervor. Die beiden Buchstaben M F kommen, soweit überprüfbar, sonst nicht im Großraum Augsburg vor; insofern ist Martin Frecht der einzige Aspirant. Seine Gemeinde könnte 1538 gewünscht haben, ein Portrait von ihm zu erhalten; damit wäre auch die bisher unbestimmte Datierung geklärt.

© Christoph Wilhelmi Stuttgart 2019

Literatur
Rainer Michaelis: Deutsche Gemälde des 14. – 18. Jahrhunderts: Berlin 1989 S. 34
Julius August Wagenmann. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 7 Berlin 1968

Bildnachweis
Rainer Michaelis: Deutsche Gemälde des 14. – 18. Jahrhunderts: Berlin 1989 S. 34