Erstveröffentlichung

Unbekannter Künstler
Michael Hummelberg


71.03-UK--Hummelberg 240Das Portrait eines Mannes mittlerer Jahre (Öl auf Kiefer, 57,5 x 44,7 cm. ca.1530) gehörte bis 1945 der Galerie des Grafen Nostitz in Prag und wurde im Zuge der Kollektivierung von der Nationalgalerie in Prag (Nr. DO 4166) übernommen. Dort wurde das Paneel dendrochronologisch untersucht und mit dem Jahrgang 1526 eingestuft. Wer jedoch der ausführende Künstler ist, konnte nicht geklärt werden. Die Nationalgalerie entschied sich für die Bezeichnung Schwäbische Schule. Gemeint ist damit die Bezeichnung für Augsburg und Umkreis.

Der etwas untersetzte Mann mit Pagenkopf trägt ein dunkles Barett und eine Schaube in dunklem Ton. Das Hemd öffnet sich am Hals wie ein Schillerkragen. Die rechte Hand greift zum Wams, während die linke eine Waage hält, die unten angeschnitten wurde. Der bei der Kürzung des Bildes entstehende Schnitt geht auch durch die linke Hand, die ─ gerade noch sichtbar ─ am Zeigefinger einen Siegelring trägt. Vermutet wurden die Buchstaben NR oder NH sowie ein stehender Löwe als Wappentier. Leider ist unter H bei Riestap kein passendes Wappen registriert. Außerdem ist die Wiedergabe der Schriftzeichen recht vage; für einen Siegelring müßten übrigens beide Buchstaben seitenverkehrt sein. Insofern stellt der Hinweis keine weiterführende Information dar, auf die man sich stützen könnte. Allem Anschein nach ist der Dargestellte nicht von Adel.

Zunächst ergibt sich daher die Frage, welche Bedeutung der Waage zukommt. Für einen Handelsherrn, der gewohnt war, Säcke, Tonnen oder Kisten zu verkaufen, dürfte eine solch zierliche Waage wenig nützlich gewesen sein. Daher kommt hier eher eine metaphorische Bedeutung der Waage infrage: Die Gerechtigkeit wurde oft als Göttin mit der Waage dargestellt d.h. als Ausgleich divergierender Interessen. Daraufhin wurde die Suche nach einem Juristen aufgenommen.

Vom Alter und von der Region her beurteilt spricht vieles für Michael Hummelberg. Er wurde 1487 in der Handelsstadt Ravensburg als Sohn eines Schneiders geboren. Dieser war offenbar geschäftlich erfolgreich, so daß er seinen begabten Sohn auf die Lateinschule schicken konnte und anschließend auf die Universität Heidelberg. Schon 1503 machte Hummelberg dort seinen baccalaureus.

Danach zog es Hummelberg nach Paris, wo er die Möglichkeit hatte, Griechisch zu lernen. Besonders zogen ihn die Vorlesungen des Aristotelikers Jacques Lefèvre d’Etaples (ca.1460─1530) an: Parallel dazu nahm er eine praktische Arbeit auf bei einem der führenden Drucker in Paris, Josse Bade (ca.1461─1535). In dessen Werkstatt betreute er diverse Editionen als Lektor. Wie zielstrebig er vorging, erkennt man daran, daß er 1505 seinen Magister als Jurist ablegte. Bei diesem Aufenthalt lernte er einen wichtigen süddeutschen Humanisten, Beatus Rhenanus (1485─1547), kennen, der sich in ähnlichem Stadium befand, und freundete sich mit ihm an. Wie geschätzt Hummelberg bei den Kommilitonen war, zeigt sich daran, daß diese ihn zum Vorsitzenden der Deutschen Nation wählten d.h. zum deutschen Studentenvertreter an der Sorbonne.

1511─1514 hielt sich Hummelberg wieder in seiner Heimatstadt auf, doch genügte ihm das bisher Erreichte offenbar nicht. 1514 begab er sich zu einem Aufbaustudium nach Rom und belegte dort kanonisches Recht. Zu dieser Zeit hatte er Gelegenheit, seinem Landsmann Johann Reuchlin (1455─1522) in dessen Verfahren beim Heiligen Stuhl beizustehen. Reuchlin war als Hebraist und Kabbala-Forscher von den Dominikanern bzw. der Inquisition jüdischer Tendenzen bezichtigt worden.

Als Hummelberg 1517 nach Ravensburg zurückkehrte, nahm er die kirchlichen Weihen, denn er strebte nach einer Stellung als Kanoniker an St. Michael. Damit war verbunden, daß er auf diese Weise wirtschaftlich abgesichert war und sich ganz seinen Studien widmen konnte. Allerdings gab er daneben nach wie vor Unterricht in alten Sprachen. Deswegen hielt er sich zeitweise auch in der Bischofsstadt Konstanz auf. Hier hatte er Gelegenheit, seine Humanistenfreunde, den Arzt Johann Menlishofer und Iohann von Botzheim ( 1535), zu treffen und ihnen Griechischkenntnisse zu vermitteln. Von Botzheim hatte in Konstanz einen Zirkel von Humanisten gebildet, der sich ─ ähnlich wie in Straßburg ─ an Erasmus von Rotterdam (1466/69─1536) wandte und diesen nach Konstanz einlud. Erasmus sagte zu und war, wie aus Äußerungen in seinen Briefen hervorgeht, von Hummelbergs Wissen sowie seinem Auftreten außerordentlich angetan. Horawitz hebt auch seine »seine geachtete und bedeutende Stellung in schwäbischen Gelehrtenkreisen« hervor.

Dieser Eindruck läßt sich anhand des Bildnisses nachvollziehen. Aber auch mit Melanchthon (1497─1560) stand Hummelberg in Briefwechsel, da beide Philologen waren. Er wandte sich jedoch nicht der Reformation zu. Sein Wesen war auf Ausgleich bedacht und darin insofern Erasmus ähnlich. »Sein Ideal wird wohl das erasmische gewesen sein. H. war wie alle Humanisten ein guter Patriot, ein treuer Freund und eine unendlich gutmütige Natur« (A. Horawitz).

Doch auf dem Höhepunkt seines Schaffens erlag Hummelberg 1527 als Vierzigjähriger plötzlich einem Schlaganfall. War es für die Nachwelt ein insofern glücklicher Zufall, daß er sich gerade hatte porträtieren lassen? Jedenfalls ist es bemerkenswert, daß sein Portrait und sein Tod in dasselbe Jahr fallen. Beatus Rhenanus gab 1533 sein unvollendetes Werk Epitome Grammaticae Graecae in Basel heraus.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2015

                                                                                                                                                                                                                                                                                           

Literatur

Ilse Guenther. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003
A.Horawitz. In: Allgemeine Deutsche Biographie . Bd. 13 Berlin 1968

Bildnachweis

Olga Kotková: National Gallery in Prague. German and Austrian Painting of the 14th - 16th Centuries.
Prag 2007  S. 161