Erstveröffentlichung

Unbekannter Künstler:

Jacob Hessels

71.02-Jacob-Hessels 2401943 wurde das Gemälde (Öl auf Holz, 65 x 51,5cm. 1570) aus dem Schloß Konopište/ČSR bei Prag in die Nationalgalerie (Nr. O 12081) überführt. Vorher gehörte es zur Schloßausstattung bzw. vor 1914 zur Sammlung des Schloßbesitzers, Erzherzog Franz Ferdinand d’Este, dem unbeliebten Thronfolger des Kaisers Franz Josef in Wien, dessen Ermordung in Sarajevo 1914 zum Auslöser des Ersten Weltkriegs wurde. Vom Museum wird das Gemälde als Deutsche Schule eingestuft. Bis auf die Kopfpartie ist das Werk durchschnittlicher Qualität und bietet wenig Charakteristika. Dennoch steckt ein erhebliches Stück unerkannter Geschichte in diesem Portrait.

Der freundliche, den Betrachter anschauende bärtige alte Herr trägt eine dunkle Schaube mit Pelzbesatz. Dazu gehört ein dunkles Barett ohne Schmuck, woraus zu entnehmen ist, daß es sich bei der Person nicht um einen mittleren oder höheren Adligen handelt. Aber auch ein Kleriker kommt nicht infrage, da der Mann an der rechten Hand, die vorn auf der Brüstung liegt, am Mittelfinger einen Ehering trägt. Die Hand umfaßt ein Paar Handschuhe ─ ein Hinweis auf einen Unterhändler auf der politischen Bühne. Aus dem Dunkel des Bildes leuchtet ein weißer, ondulierter Kragen hervor und nährt die Vermutung, daß es sich um eine Person der habsburgischen Niederlande handelt. Am oberen Bildrand ist eine noch gut lesbare Inschrift zu sehen: ANNO 1570 AETATIS SVAE 64. Das Alter entspricht der Physiognomie und ergibt, verrechnet mit der Jahreszahl, das Geburtsjahr 1506.

Mit diesen Eckdaten tritt bald ein Mann aus dem Dunkel der Vergangenheit, der 1506 in Nieuwkerke-les-Bailleul im Département du Nord des heutigen Belgien geboren wurde ─ ein Flame also. Jacob Hessels erbte das Rittergut Ter Caemere. Seinem Wesen entsprach nicht die militärische Laufbahn, sondern er ging 1527 zum Studium an die schon damals berühmte Universität Leuven, wo Erasmus von Rotterdam (1466/69─1536) u.a. das Collegium Trilingue initiiert hatte. 1533 nahm er mit Erasmus persönlich Verbindung auf. Jura scheint sein Hauptfach gewesen zu sein, denn er schlug eine Verwaltungskarriere ein. 1546 jedenfalls wurde er conseiller commissaire beim Grand Conseil, dem obersten Appelationsgerichtvon Flandern, mit 34 Persönlichkeiten auch ein Beratergremium des jeweiligen Statthalters des Kaisers.

1550 stieg Hessels zum ordentlichen conseiller auf (vgl. Beitrag Massys, Cranevelt) und wurde 1554 Generalstaatsanwalt. Zu seinen Freunden gehörte ein Bischof aus dem Prämonstratenser-Orden. So bestätigt sich die Annahme, daß er zur habsburgtreuen, altgläubigen Partei in den Niederlanden zu rechnen ist. Für diese Provinzen hatte König Philipp II. von Spanien den Herzog von Alba (1507─1582) eingesetzt, der meinte, sich nur mit Härte gegen die Anhänger der Hervormde Kerk (reformierte Kirche) behaupten zu können. Nicht alle seine Berater waren dieser Auffassung. Aus Spanien kamen scharfe Anweisungen von Philipp II. Obrigkeitstreu stellte sich Hessels für den juristischen Vollzug zur Verfügung, insbesondere bei den Verhören der vielen Inhaftierten. Bei Friedrich Schiller (S. 817) wird Hessels als Negativbeispiel erwähnt. Indem er sich auf Meteren bezieht, führt Schiller aus: »Er pflegte mehrenteils in der Versammlung zu schlafen und, wenn die Reihe an ihn kam, seine Stimme zu einem Todesurteil zu geben, noch schlaftrunken aufzuschreien: Ad Patibulum! ad Patibulum [an den Galgen]! So geläufig war dieses Wort seiner Zunge geworden.« Der Konfessionskonflikt brodelte besonders in der Stadt Gent; den Grossen Rat dort bezeichneten viele Bürger als Blutgericht. So zog Hessels den Hass aufgebrachter Bürger auf sich. Seine Frau, Jetze Hoytema, wie auch namhafte Freunde, rieten ihm zu mehr Toleranz. »Seine Gattin, eine Nichte des Präsidenten Viglius, ... hatte ihm ausdrücklich vorgeschrieben, das traurige Amt eines königlichen Anwalts niederzulegen« (Schiller). Doch er blieb bei seiner kompromißlosen Linie.

Da brach unter Führung radikaler Calvinisten im Oktober 1577 eine mit Plünderungen verbundene Revolte unter der Führung von Frans van Kethulle, heer van Ryhove (ca.1531─1585), los, der eine calvinistische Republik aus Gent machen wollte, und nahm im Handstreich den Regierungssitz ein. Vier conseillers einschließlich Hessels wurden gefangen genommen. In einem standrechtlichen Verfahren wurde er zum Tode durch den Strang verurteilt. Vorher kam es noch zu einem heftigen Wortwechsel mit dem Anführer Ryhove, bei dem Hessels langer Bart abgeschnitten wurde. Danach wurde er aufgehängt und verscharrt.

Das tragische Ende dieses Mannes als Märtyrer wurde propagandistisch umgemünzt. Es erschien ein lateinisches Epitaph UBI MANSIMUS UMQUAM ? (Wo werden wir irgendwann wohnen?). Außerdem wurde Hessels kanonisiert.

Für die Nationalgalerie ist nur die Provenienz bis 1920 zurück geklärt. Doch ist mit Sicherheit anzunehmen, daß das Gemälde aus den spanischen Niederlanden stammt und mit dem Rückzug der Habsburger nach Böhmen transferiert wurde. Bei dem Umzug ging wohl auch die Namensbezeichnung verloren. So hing das Portrait viele Generationen in Böhmen ohne Angaben, obwohl es einen kaisertreuen Flamen repräsentierte, der in seiner Amtszeit auch Träger des Goldenen Vlies war, worauf er in seinem Bildnis offenbar aus Bescheidenheit verzichtet hat.

© Christoph Wilhelmi 2015

Literatur
Alfons Jornez. In: Biographie Nationale de Belgique. Vol. IX. Bruxelles 1886/87
Olga Kotková (Hg.): National Gallery in Prague. German and Austrian Painting of the 14th ─ 16th Centuries.Prag 2007 S. 137
Marcel Nauwelærts. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003
Schillers Werke in zwei Bänden. Salzburg o. J.

Bildnachweis
Olga Kotková: National Gallery in Prague. German and Austrian Painting of the 14th – 16th Centuries. Prag 2007 S. 137