Unbekannter Künstler
Reinarus Solenander

71.10-Solenander 240Dieses Halbportrait eines Wundarztes gehört seit 1915 zur Theodore M. Davis Collection des Metropolitan Museum in New York (Öl auf Holz, 21 x 15,6 cm. 1569. Nr. 30.95.287). Es zeigt einen entschlossen wirkenden Mann in etwas ungewöhnlicher Kleidung. Er trägt ein weisses gegürtetes Gewand mit einem schwarzen Umhang um Hals und Schultern, dazu ein dunkles, gespitztes Barett. Zum Ausgleich hat der Künstler die mit dem Kopf mittig platzierte Person rechts in die Nähe einer angedeuteten Säule gestellt und vor einen winzigen Tisch, auf dem ein Oberteil eines Totenkopfes ruht, auf den der Arzt seine rechte Hand gelegt hat, während die Linke neben dem Schädel ein Abstrichstäbchen hält. Die Kleidung wirkt optisch zwar wie die eines Mönchs. Aber der Annahme widerspricht der Ring am linken Ringfinger. Unterhalb des linken Ellbogens wird ein Messer sichtbar, das wie ein Dolch am Gurt hängt sowie weitere Gerätschaften.

Da das Gemälde nicht signiert ist, fand es trotz des besonderen Sujets wenig Aufmerksamkeit. Pauschal wurde es vom Museum wegen der Inschrift in alter Orthographie siet om of swijcht (schweig still) als niederländisch eingestuft. Da es um die Zeit sowohl in den Städten, als auch an Höfen üblicherweise Ärzte gab, ließ sich wegen deren Vielzahl die Person bisher nicht näher bestimmen. Dabei gibt es einen zielführenden Einstieg: An der Säule ist das Bild mit 1569 datiert. Außerdem wird das Alter des Mannes angegeben: 47. Von der Jahreszahl abgezogen ergibt sich daraus das Geburtsjahr mit 1522.

Nun existiert aus dem Jahr 1620 ein zwar unvollständiges, aber hilfreiches Register von Ärzten des 16. Jahrhunderts von Melchior Adam. Weil um die Zeit noch keine Geburtslisten geführt wurden, sind dort viele Ärzte des Verzeichnisses mit ca. Angaben versehen, so auch bei dem aus Büderich stammende Reinarus Solenander (*ca.1521). Über seine Familie weiß man nur, daß er aus Wesel am Rhein stammt und dort die Stadtschule besucht hat. Aber sein Landesherr, Wilhelm von Cleve, der Reiche (1516─1592), war auf ihn als bildungswilligen Schüler aufmerksam geworden und schickte ihn zum Studium nach Leuven, wo er drei Jahre studieren konnte. Auch das anschließende Studium in Bologna mit sieben Jahren, in denen er sich auch in Pisa, Rom und Neapel aufhielt, scheint der Herzog finanziert zu haben. Offenbar war Solenander sehr fleissig, denn im Jahr 1557 veröffentlichte er sein erstes Fachbuch in Florenz, kehrte aber nach Hause zurück, wohl weil er dem Herzog verpflichtet war, und wurde Leibarzt des Herzogs. »Auch Hofarzt Dr. Solenander führte wie sein Kollege Weyer einen literarischen Kampf gegen den Hexenwahn, in dem er den erasmischen Humanismusgedanken in den Vordergrund stellte« (Kloosterhuis S. 545). In der Position blieb er auch nach dem Tode Herzog Wilhelms.

Thronfolger wurde Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg (1562─1609), der die badische Prinzessin Jakobe (1558─1597) heiratete. Diese Verbindung sollte die kaisertreue, katholische Ausrichtung des Herzogtums absichern. Doch da der junge Herzog nicht zurechnungsfähig war und somit ein problematischer Fall, kam es zu Intrigen bei Hofe. Jakobe selbst versuchte, ihr Leben zu führen und tendierte zur Reformation. 1592 bemühte Jakobe sich, das Regiment für ihren schwachen Ehemann zu übernehmen, der wegen seiner Tobsuchtsanfälle weggeschlossen wurde (wikipedia.org/wiki/ 25.3.2013).

Doch die Camarilla bei Hofe arbeitete ihr entgegen. »1580 machte ihn [Johann Hardenrath] zunächst zum jülischen Rat, später zum Vizekanzler. Er versah sein Amt in einer Zeit, in der, aufgrund der Geistesschwäche Herzog Wilhelms sowie seines Sohnes Johann Wilhelm, die Regierung des Landes ausschließlich durch die Räte geleitet wurde. Mit Schneckern und Offenbroich bildete er das herrschende Triumvirat, das vor allem der Herzoggattin Jakobe von Baden jede Beteiligung an der Regierung verwehrte. Mit besonderer Geschäftigkeit forderte Hardenrath (ca.1530─1601) die Interessen der Spanier, was ihm zusätzliche Macht verlieh. Die Stände hassten ihn…« (Kloosterhuis S. 596). Jakobes Schwägerin Sibylle (1557─1627) jedoch, wohl vorgeschickt von dieser spanisch-katholischen Partei, setzte Jakobe gefangen und ließ wahrscheinlich den Versuch unternehmen, Solenander zum Giftmord an ihr zu bewegen.

Dieser war empört und reagierte heftig, weil er auf Grund seines ärztlichen Ethos jegliche Beihilfe zum Mord ablehnte. Daraufhin wurde der Versuch unternommen, Jakobe beim Vatikan und am Kaiserhof verurteilen zu lassen. Da diese Verfahren verschleppt wurden, kam es zu einer radikalen Lösung. Jakobe wurde 1597 tot aufgefunden, weil sie offenbar im Schlaf erstickt wurde. Das Motiv einer solchen Tat lag auf der Hand: Es musste Platz für eine fruchtbarere Nachfolgerin geschaffen werden, welche die vom Aussterben bedrohte Dynastie rettete (http://de.wikipedia.org/wiki/Jakobe_von_Baden-Baden). Damit hatte die spanisch-katholische Partei sich durchgesetzt. Die Gestalt der Jakobe ging jedoch 1826 in die Literatur ein: in Heinrich Heines Das Buch Le Grand. Dort heißt es: »auf der einen Seite liegt das alte, verwüstete Schloß [von Düsseldorf], worin es spukt und nachts eine schwarzseidene Dame ohne Kopf mit langer, rauschender Schleppe herumwandelt«.

In Solenanders ablehnender Antwort an den Hofmarschall vom 6. Jan. 1595 schrieb er: »…einen aber mit dergleichen Tranck und Süpplein hinzurichten, ist ärger und unverantwortlicher, als jemand mit dem Schwerte töten lassen. Ich gewiß wolte lieber meines Amtes ja Lebens verlustig werden, als dazu behülflich seyn, und meiner bisher von Gott reich gesegneten Kunst solchen gräulichen Schandfleck anhängen und aus einem Hoff-Apothecker einen Abdecker und Büttel machen helfen. Es haben die Teutschen bis hierher solche schändliche Künste vor ein großes Bubenstück erachtet, Gott verhüte, daß dergleichen welsche Practiquen ja nicht bey uns eingeführet und wir dadurch bey der Christenheit auch infam gemacht werden, dan ob die H. Jacoba zum Tode, nach rechtmäßiger Ueberweisung verdammet, ist mir ganz unwissend, ich habe von keinem Urthel gehört, viel weniger etwas gesehen, werde mich auch die übrige wenige Tage meines Lebens hierzu nicht bereden lassen. Data est medicina ab ipso Deo mortalibus in salutem, non ad internecionem« (ADB Bd. 24 S. 549).

1595 zog Solenander sich nach Büderich zurück, zumal dem Nachfolger Johann Wilhelm mit damaligen Mitteln medizinisch offenkundig nicht zu helfen war. Seine Haltung wird noch verständlicher, wenn man bedenkt, daß Solenander sich als Erasmianer verstand (s. Beitrag Bruyn, Frechen), als ein ´Jünger´ von Erasmus von Rotterdam. »Solenander genoß hohes Ansehen als Arzt und Mensch und pflegte zahlreiche Freundschaften mit bedeutenden Zeitgenossen (Kloosterhuis S. 660).

Die couragierte Art seiner Äußerung verschaffte Solenander u.a. einen Platz in dem erwähnten damaligen Standardwerk von Melchior Adam: Vitae Germanorum medicorum. Mehrere deutsche Bibliotheken bewahren noch sein Werk Consiliorum medicinalium Reinert Solenander (1582 Hannover und 1609 Hannover). In Solenanders Portrait, 26 Jahre vorher entstanden, ist natürlich kein Hinweis darauf enthalten. Doch dem entschlossenen Gesichtsausdruck entspricht Solenanders spätere Handlungsweise allemal.

©Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2021

Literatur
Katharine Baetjer (Hg.): European Paintings in the Metropolitan Museum of Art. New York 1995
C. Binz. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 34 Berlin 1971
Elisabeth M. Kloosterhuis: Erasmusjünger als politische Reformer: Humanismusideal und Herrschaftspraxis am Niederrhein im 16. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien 2006

Bildnachweis
http://metmuseum.org/collections/search-the-collections/110001656?pos=6&rpp=20&pg=1&gallerynos=627&ft=*#fullscreen (23.11.2013)
rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/reiner-solenander/DE-2086/lido/5cebd680b26428.88928117(24.7.2021)

/