Erstveröffentlichung

Bartholomäus Bruyn d. Ä.

Dietrich V. von Manderscheid-Schleiden

12.11-Manderscheid 240Das Museum of Art der University of Michigan/USA besitzt ein für Bartholomäus Bruyn d. Ä. etwas von seinem Schema abweichendes Portrait eines jungen Mannes, das von James M. Collier als Selbstbildnis deklariert wurde ─ vermutlich in Analogie zu Joos van Cleves Selbstbildnis mit Nelke (Öl auf Holz, 38 x 27 cm. um 1519. Museo Thyssen-Bornemisza Madrid). Diese Einstufung und Datierung auf um 1535 hat Annekatrein Löw in ihre Publikation übernommen: »…es handelt sich um das einzige überlieferte autonome Selbstbildnis des Malers« (S. 22). Ihre Begründung beruht auf einer gewissen Ähnlichkeit: »Die Porträtähnlichkeit mit dem Zuschauerbild [aus einem Zyklus mit der Legende des Hl. Viktor, Köln, Wallraf-Richartz-Museum] ist unverkennbar«. Da dieses sog. Selbstbildnis erst 1988 publiziert wurde, fehlt dieses Bild in dem Bruyn-Werkverzeichnis von 1965 von Westhoff-Krummacher.

Das Halbportrait zeigt einen selbstbewußten, noch jugendlichen Mann, der sich in Positur wirft, indem er ─ anatomisch nicht ganz korrekt ─ seine Rechte in die Hüfte stemmt. Dabei sitzt er hinter einer schräg ins Bild ragenden Steinplatte, auf die er sich mit dem gewinkelten linken Arm stützt. Das Halbportrait hebt sich wirkungsvoll von dem zartgrünen Hintergrund ab, der an dem linken oberen Rand sowie rechts über der Schulter stark verschattet ist. Daß es sich um ein Brautbild handelt, ist unverkennbar und wird mit zwei roten Nelken auf der Steinplatte demonstrativ betont. Offenbar wurde voreilig von Joos van Cleves Selbstbildnis auf Bruyn geschlossen. In einem anderen Fall hat Bruyn zwei Nelken ins Spiel gebracht: im Portrait der zweiten Frau von Heinrich Bars (s. Beitrag Bruyn, Bars). Schließt man von diesem Portrait auf das zur Debatte stehende, würden die zwei Nelken auf die zweite Heirat des Dargestellten anspielen; aber: Bruyn war nur einmal verheiratet. Die Heirat erfolgte 1515-18. Damit hat sich die These vom Selbstbildnis Bruyn erledigt.

Entgegen einer Vielzahl von Portraits mit Lebensdaten hat Bruyn hier auf das Entstehungsjahr verzichtet. Daß er auch das Geburtsjahr wegließ, könnte bei einem Selbstbildnis naheliegen, macht aber nun die Einstufung der Person äußerst schwierig. Dafür bleibt nur die Vermutung, daß der Dargestellte maximal 25 Jahre alt ist. Damit käme ein Geburtsjahr von ca. 1510 infrage. Bruyn wurde jedoch 1493 geboren. Demnach ist die Einstufung `Selbstbildnis´ nicht haltbar.

Neben einer Zeitdifferenz sprechen weitere Details gegen ein Selbstbildnis. An einer goldenen Halskette waren in der Regel Adlige zu erkennen; für einen bürgerlichen Handwerker z.B. ziemte sich dieser Schmuck nicht. Ferner trägt der junge Mann an der linken Hand drei Ringe, die ihn durch Grundbesitz als recht vermögend ausweisen. Der am Zeigefinger sichtbare Ring weist ein altadliges Wappen auf. Von den beiden Ringen am linken Ringfinger enthält der obere einen kleinen dunklen Stein, der untere ein weiteres Wappen: anscheinend eine grünliche Rombusform auf Gold. Aus diesen Gründen wurde die Suche nach einem zeitlich passenden Adligen aufgenommen.

Vom mittleren Adel des Kölner Raums käme Dietrich V. Graf von Manderscheid-Schleiden infrage. Er wurde 1508 geboren und humanistisch erzogen. Seine Mitschüler waren Johannes Sturm (1507─1589) und Johannes Sleidanus (1506─1556). Nach Abschluß des Gymnasiums studierten diese beiden in Liège/Luik (Lüttich) und kamen dabei mit der kirchlichen Reformbewegung der devotio moderna in Berührung, von der auch Erasmus von Rotterdam beeinflußt war. Diese Ausrichtung geht auf Henricus Pomerius zurück, wie sich der Patrizier Geert Groote (1340─1384) nannte. Aus der Vermutung des Jüngsten Tages begründete er eine Frömmigkeitsbewegung in den Niederlanden. Sie organisierte sich in Laienvereinigungen, die gegen Mißstände in der Kirche auftrat, vor allem aber auf die Bereinigung des inneren Menschen zielte.

Beide Kommilitonen hielten mit Dietrich weiterhin Kontakt, so daß anzunehmen ist, daß Dietrich durch sie im Sinne dieser Bewegung beeinflußt wurde. Dietrich aber mußte auf ein Studium verzichten, weil er seinem Vater bei der Verwaltung der umfangreichen Grafschaft assistierte. Frühzeitig übertrug ihm sein Vater, Graf Dietrich IV., Aufgaben; so hatte der Sohn fast die ganze Eifel zu kontrollieren.

Daß Dietrich die Voraussetzungen für das Portrait mitbrachte, ergibt sich vor allem aus seiner Heirat 1532. Damals ging er die Ehe mit Erika von Waldeck ein, verwitwete Gräfin von der Mark-Ahrensberg. Sie bekamen zwei Söhne und eine Tochter. Daß Dietrich vor sich zwei rote Nelken liegen hat, erklärt sich aus der zweiten Heirat seiner Frau (vgl. Beitrag Bruyn, Gobler). Ferner spricht für Dietrich, daß er eine schlichte schwarze Schaube trägt und somit den Humanisten hervorkehrt ─ oder, um mit Max Weber zu reden, die protestantische Ethik. Zwar gibt er mit der goldenen Kette zu erkennen, daß er standesbewußt denkt. Aber es scheint so, als wolle er zugleich eine gewisse protestantische Einfachheit demonstrieren. Aus dieser Denkweise jedenfalls machte er sich daran, in seiner Grafschaft die Reformation einzuführen. »Seine Regierung entfaltete eine Zeit der Blüte, religiöser Toleranz und inneren politischen Ruhe…« (Kloosterhuis S. 622). Dietrich pflegte die Verbindung zu Herzog Wilhelm von Kleve-Jülich sowie zudem Kurfürsten von der Pfalz sowie dem Erzbischof von Trier ─ drei konfessionell unterschiedliche Orientierungen. Dietrich wird deshalb zu den Erasmianern (s. Beitrag Bruyn, Frechen) gezählt. Dementsprechend taucht er 1540 bei Beratungen des Schmalkaldener Bundes auf, in denen über die Haltung gegen über dem Kaiser diskutiert wurde.

1555 kam Herzog Wilhelm von Kleve sogar zu einem offiziellen Besuch zu Graf Dietrich. Wie taktisch der Herzog vorging, zeigte sich daran, daß er Kaiser Karl V. zum Taufpaten seines Sohnes aufforderte, aber zugleich seinen Freund Graf Dietrich. Dieser bekam aber den ehrenvollen Auftrag, den Erbprinzen am Taufbecken zu halten. Jedoch war Dietrich selbst kein Taktierer. Er vermied den Kontakt zum Kaiserhof, während für den Herzog die Verbindung zu Karl V. unausweichlich war. »Dietrich starb bereits 1560 und überließ seinem Sohn Dietrich VI. die Grafschaft Manderscheid-Schleiden« (Kloosterhuis S. 623). Im übrigen ergibt sich aus der Darlegung 1532 als Entstehungsjahr für das Portrait Dietrich V. von Manderscheid-Schleiden.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2020

Literatur
James M. Collier: A Self-Portrait by Barthel Bruyn the Elder. In: Bulletin of the University of Michigan… Ann Arbor 1988 S. 58
Elisabeth M. Kloosterhuis: Erasmusjünger als politische Reformer: Humanismusideal und Herrschaftspraxis am Niederrhein im 16. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien 2006
Annekatrein Löw (Hg.): Bartholomäus Bruyn. Die Sammlung des Städtischen Museum Wesel. Wesel 2002

Bildnachweis
Annekatrein Löw (Hg.): Bartholomäus Bruyn. Die Sammlung des Städtischen Museum Wesel. Wesel 2002 S. 199