Erstveröffentlichung

Hans Mielich

Hieronymus Nopp


hieronymus noppDie im ausgehenden 15. Jahrhundert Mode gewordenen Fensterausblicke im Hintergrund von Portraits zeigen oftmals skizzenhafte Architektur. Selten läßt sich jedoch in einem Landschaftsausblick ein Gebäude rückwirkend verifizieren; die Front des nördlichen Querschiffs des Straßburger Münsters in der Stuppacher Madonna von Grünewald ist eher eine Ausnahme.

Die frühen Portraits von Hans Mielich (auch Muelich, 1516 München─1573) weisen eine erstaunliche Perfektion auf. »Der Künstler trieb einen höheren Aufwand als zuvor, wenn er den Mann vor eine mehrfach gebrochene Wand stellte« (Kurt Löcher S. 41). Da über das Leben des Künstlers wenig bekannt ist, wird angenommen, daß Mielich sich in Oberitalien hat weiterbilden lassen. Offenbar kam er 1539 wieder ins Herzogtum Bayern zurück und fand dort zahlreiche Auftraggeber beim Adel und im wohlhabenden Bürgertum. Mit am Anfang seines Oeuvres steht das Portrait of a man (Öl auf Holz, 74,9 x 60 cm) im Toledo Museum of Art/USA.

Nach der dunkelblau schimmernden Schaube und dem schwarzen, schmucklosen Barett zu urteilen handelt es sich bei dem Dargestellten um einen Akademiker. Der Eindruck wird verstärkt durch ein Buch in der Linken, das der Mann mittleren Alters wie das Gesangbuch eines Kirchgängers hält. Das Portrait ist unten mittig auf der Brüstung in einem cartiglio, d.h. einem Zettel mit HM signiert und auf 1540 datiert, ganz in der Weise, wie die Bellinis und Dürer es handhabten. Weitere individuelle Merkmale fehlen jedoch. Daher ist eine Auflösung der Identität der Person, wenn überhaupt, nur über den Fensterausblick rechts möglich. 

08.01 Hieron.Nopp kirche ZeichnungHier wird keine Natur dargestellt, sondern eine viertürmige Kirche auf einem großen Platz inmitten einer Stadt in der Ebene. Mit seinen vier ähnlichen, schlankhohen Türmen ist der Bau fast ein Solitär. Außerdem fällt auf, daß der Maler die Architektur mit viel Liebe zum Detail ausgeführt hat. Mielich bzw. sein Auftraggeber müssen das Straßburger Münster gekannt haben. Offenbar hat sie dort das vorgeblendete Sandstein-Gitterwerk inspiriert, der abgebildeten Kirche ebenfalls eine vorgehängte, schmückende Fassade zu geben.

An diesem Bauwerk und seinem, mit zahlreichen Menschen belebten Umfeld wurde viel herumgerätselt. Kurt Löcher (S. 42) meinte dazu: »Das Erscheinungsbild von Stadt und Kirche vor dem Bergpanorama ruft andere Assoziationen wach, läßt nach einem topographisch näheren und vertrauteren Schauplatz suchen… Die Vieltürmigkeit und die, möglicherweise täuschende Vorstellung von einer Doppelchoranlage rufen den Bamberger Dom in Erinnerung, doch trägt der Vergleich nicht mehr, sobald es um Einzelheiten geht. Schon der Vierungsturm fehlt in Bamberg…« Löcher bringt auch Salzburg ins Gespräch und fährt fort: »Wenn einer der genannten Dome den Maler inspiriert haben sollte, so war doch die Verwandlung eine vollkommene«.

Da in dem Gemälde scheinbar auf keine noch vorhandene Kirche Mitteleuropas angespielt wird, flüchtete sich Löcher in den Gedanken »Es handelt sich um Jerusalem«, also eine Übertragung eines mittelalterlichen Vorbilds in die vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts. Das kommt einer Ausflucht nahe, denn der Kirchenarchitektur liegt ein konkreter Entwurf zugrunde, den Mielich nur phantasievoll erweitert hat, es sei denn, er kannte die weiterführenden Pläne des Architekten.

Das Historische Museum in Regensburg hütet ein Holzmodell von 1520/21, das zwar nur zweitürmig ausgeführt wurde, aber ganz deutlich und vorausschauend die westliche Erweiterung des Baus bedacht hat. Vermutlich hat der Architekt aus Kostengründen mit dem Modell nur den ersten Bauabschnitt wiedergegeben, um den Stadtvätern eine kostenverträgliche Lösung anzubieten. Der Baumeister war kein geringerer als der am  Regensburger Dom engagierte Hans Hieber (auch Hueber).
kircheHans Hieber: Neupfarrkirche, Regensburg
Modell

Zwar hat Mielich den Kirchenbau nicht völlig korrekt dargestellt, indem bei ihm der Vierungsturm aus dem Mitttelschiff aufragt, während das Modell einen Chor in Form einer hohen sechseckigen Kapelle vorsieht. Daß es im Gemälde und im Modell ein und dasselbe Projekt gemeint wird, ist schon wegen des Turmpaars und der angelehnten Westkapelle augenscheinlich. Bei Mielich sind nur die Türme etwas überlängt, um im schmalen Fensterausblick den Kirchenbau aufstrebender erscheinen zu lassen.

Was ist aus dem Kirchenbau geworden? Er steht zweitürmig, wie das Modell, heute noch in Regensburg und trägt die phantasielose Bezeichnung Neupfarrkirche. Die Ausführung hat beileibe nicht den Charme des Modells, und darin ist wohl der Grund zu suchen, daß Kurt Löcher nicht auf den Gedanken kam, diesen Bau in Beziehung zum Gemälde zu setzen. 

Der Bau hat eine bewegte Vorgeschichte, die zu erzählen notwendig ist, um in der Frage der Identifizierung der Person weiterzukommen. Leider gehören die Vorgaben für den Bau zu den Schattenseiten der Stadtgeschichte.
08.01 Mielich Hieron. Nopp Synagoge Altdorfer 240Albrecht Altdorfer: Inneres der Synagoge
von Regensburg. Zeichnung um 1520
»Das Grundproblem war der drohende wirtschaftliche Ruin der Stadt, für den ein Schuldiger gesucht wurde, der sich auch sehr bald fand: die Juden. Sie hätten durch Geldleihe und Zinsnahme den Niedergang verursacht« (Paul Mai in: Regensburg im Mittelalter S. 94). Sehr geschickt wurde der Tod des Schutzherrn der Juden, Kaiser Maximilian I., am 12.1.1519 ausgenutzt. »Schon wenige Tage später veranlaßte dies den Rat zu raschem Vorgehen, um vollendete Tatsachen zu schaffenden. Auf Forderung der Handwerker beschloß er nach kurzer Beratung in einer Sitzung am 21.2.1519 die Vertreibung der Juden« (Sebastian Schott in: Regensburg im Mittelalter S. 254).  So kam es in Regensburg zu einem heftigen Progrom gegen die jüdischen Einwohner der Stadt. Das ihnen zugewiesene Wohngebiet wurde vollkommen niedergelegt. Begonnen wurde mit der Synagoge. »Dann zerstörten die Juden selbst die Inneneinrichtung des Gotteshauses, um sie vor der Entweihung durch fremde Hände zu bewahren, ehe die Synagoge innerhalb von sechs Tagen niedergerissen wurde, woran auch Bischof und Domkapitel sich demonstrativ beteiligten« (Schott S. 254).  
                                                 
220px-41Schöne Madonna von RegensburgMichael Ostendorfer:
Schöne Maria von Regensburg. 1520
Die Museen der Stadt Regensburg verwahren von Albrecht Altdorfer sowohl eine Radierung als auch einen Holzschnitt der Synagoge in Regensburg von 1520. Er stellt einen Entwurf eines Altars für die Wallfahrtskapelle Zur Schönen Maria dar; mittig das wundertätige Gnadenbild der Maria. »Altdorfer hat im Zusammenhang mit der Wallfahrt noch weitere Holzschnitte geschaffen, die ebenfalls von den Wallfahrern erworben werden konnten« (Boockmann S. 71). Die Staatliche Münzsammlung in München verwahrt ein Zeichen für Wallfahrt zur ´Schönen Maria´ von 1519. Da das Silberstück mit einer Öse versehen ist, war es wohl als Anhänger gedacht und vom Kunsthandwerker Leonhard Löbl auf den Markt gebracht worden.


Das Datum des Progroms und die Datierung des Holzmodells von Hieber auf 1520/21 zeigen, daß dieses Modell tatsächlich für die Neupfarrkirche geschaffen wurde. Alexander von Reitzenstein (S. 395) berichtet: »Während der Bauarbeiten entschloß man sich zu weitgehender Vereinfachung [das Steueraufkommen der Juden fehlte wohl im Haushalt] unter Verzicht auf die als W-Teil vorgesehene Rotunde. Das noch unvollendete Gebäude kam 1542 an die Protestanten, die dem Marienkult an dieser Stelle ein Ende bereiteten. 1560 konnten die Türme [ebenfalls vereinfacht] fertiggestellt werden«.

Damit kommt wieder das Portrait ins Spiel, ist es doch auf 1540 datiert, als die Türme noch nicht vollendet waren. Es stellt offensichtlich einen Mann vor, der unmittelbar mit dem Bau der Wallfahrtskirche zu tun hatte. Doch von seiner Kleidung her und mit dem Buch in der Hand kann es nicht der Architekt Hieber sein. Das Datum legt nahe, daß es sich um den ersten protestantischen Pfarrer von Regensburg handelt: Hieronymus Nopp (auch Noppius/Nopus, *um 1495 Herzogenaurach ─ 9.8.1551 Regensburg). Sonderbarerweise weiß der Autor der populären Stadtgeschichte Regensburgs, Karl Bauer, nichts von diesem Reformator zu berichten.

Die Kenntnisse über seine Familie und Person sind nicht sehr reichlich. Gesichert ist seine Immatrikulation als Theologiestudent in Wittenberg 1519. Offenbar war er überdurchschnittlich begabt, denn schon als Student wurde er als Lehrer an der Ratsschule in Zwickau beschäftigt. In der Stadt hielt er sich bis 1536 auf und rückte 1537 als Rektor der Lateinschule von Schneeberg im Erzgebirge auf. Diese Stadt florierte durch den Silberbergbau. Während des Studiums in Wittenberg wurde er zum Protestanten und schlug aus dieser Überzeugung den Weg des Pädagogen ein wie Johannes Bugenhagen und viele andere Reformatoren der ersten Generation. Die Porträtsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel enthält einen Stich (A 15113) von ihm, der ihn mit Halskrause und langem Bart im Profil zeigt, aber den Anschein erweckt, als habe der Graphiker ihn nicht persönlich gekannt, denn es ist ein Humanistenkopf, wie es viele ähnliche gibt.

Als Stadt vieler Reichstage war Regensburg sehr angesehen. Aufgewertet wurde sie für Nopp durch das Regensburger Religionsgespräch von 1541, bei der als Präsident der Pfalzgraf Friedrich (s. Porträts der Renaissance S. 86ff) den Vorsitz führte. 1542 erfolgte die Übergabe der Wallfahrtskirche als ´neue Kapelle´ an die Anhänger der Augsburger Konfession, als die Stadtoberen am 15.10.1542 offiziell zum Luthertum übergingen. Als der Rat von Regensburg Ausschau nach einem dafür geeigneten protestantischen Prediger hielt, gab Martin Luther die Empfehlung für Nopp. Daraufhin wurde er berufen. Berichtet wird, daß Nopp im Februar 1543 in Regensburg seine Probepredigt hielt. Am 24.4.1543 verteidigte Nopp seine Promotion vor Luther. Die Verteidigung umfaßte 30 von Luther vorgegebene Thesen in Latein. Offenbar verlief die Promotionsdisputation (D. Martin Luthers Werke, Bd. 39) zu Luthers Zufriedenheit, sodaß er daraufhin seine Empfehlung aussprach. Im Wittenberger Ordiniertenbuch wird »Doctor Jeronimus Noppus vonn Hertzogaurach« am 2. Mai 1543 als »aus dieser Universitaet beruffenn gein Regenspurg zum Pfarambt« verzeichnet (S. 32).

Da das Gemälde jedoch 1540 datiert ist und Nopp offensichtlich schon in Regensburg aufgetreten war ─ der Kirchenbau im Hintergrund beweist es ─,  fragt es sich, in welcher Funktion er dort tätig war. Vielleicht hat er sich zunächst um den Aufbau  einer protestantischen Schule gekümmert, ehe er auch ein kirchliches Amt anstrebte, dessen Stelle der Rat mehrheitlich genehmigen mußte, was vorher wohl nicht selbstverständlich war. 

Doch das Wohlwollen des Rates muß Nopp sehr bald gewonnen haben, da der Rat Wert darauf legte, daß er in Wittenberg seine Promotion im Fach Theologie nachholte. Die von Luther aufgestellten Fragen bei seiner Verteidigung als Doktorand sind noch erhalten. Es geht dabei ─ gut lutherisch ─ um die ´Rechtfertigung durch den Glauben´.

Nach dieser Qualifizierung konnte sich Nopp mit voller Kraft der Organisation der Reformierung Regensburgs widmen. Das Porträt gibt Nopp ohne Attitüde, aber in dem sicheren Gefühl seines Amtes wieder. Die Kirche im Hintergrund wurde ─ in der Ausführung deutlich prosaischer ─ seine Neupfarrkirche. Den bisherigen Marienkult, verbunden mit Wallfahrten, schaffte er kurzerhand ab.

Daher kann man die Menschenansammlung vorn vor der Kirche kaum als eine Wallfahrt deuten, wie Löcher meint. Er brachte ins Spiel, es handle sich im Zentrum der Szene um die Steinigung des Stephanus. Das Martyrium des ersten Glaubenszeugen mit Hieronymus Nopp in Verbindung zu bringen, fällt nicht ganz leicht, weil die Lutheraner mit dem Marienkult auch den Heiligenkult annullierten. Über Stephanus wird bereits als Archidiakon in der Apostelgeschichte 6,5 f berichtet. Er stand lt. Jürgen Roloff (S. 473) den Hellenisten in der Urgemeinde in Jerusalem vor, und sein Tod durch Steinigung löste die Vertreibung der Hellenisten aus Jerusalem aus. Sollte Nopp sich schon 1540 bedroht gefühlt haben, daß er antizipierend seine 1548 erfolgte Vertreibung aus Regensburg geahnt hätte und daher Mielich diese bildliche Metapher malen ließ?

Die Sicherheit, welche das Portrait eigentlich ausstrahlt, dauerte nämlich nur sechs Jahre. Die Folge des Augsburger Interims zwischen den rivalisierenden Konfessionen war jedoch, daß die Protestanten, wie vorher die Juden, die Stadt Regensburg verlassen mußten, also auch Hieronymus Nopp. Die folgenden Jahre müssen ihn hart getroffen haben, denn als er als vordem beliebter Prediger 1551 nach Regensburg zurückgerufen wurde, lebte er nur noch ein paar Monate dort. Einige seiner Predigten erschienen nach seinem Tode im Druck. Noch heute ist Nopp in der Stadt eine Unperson; das Autorenteam von Regensburg im Mittelalter kommt zwar auf die Reformation zu sprechen; Nopp wird jedoch mit keinem Wort erwähnt. 

Die Identifikation des Portraits von Hieronymus Nopp ist, wie sich gezeigt hat, vielschichtig. Dadurch hat sie mehrere Fakten zugleich aufgedeckt:

- Nopps authentischen Bild

- Nopps Geburtsjahr 1500, da auf dem cartiglio sowohl das Entstehungsjahr als auch das  Alter des Dargestellten angegeben ist

- den wahrscheinlich von Hieber konzipierten Erweiterungsbau der Schönen Maria-Kirche.

Am Holzmodell ließ sich erkennen, daß auch Hieber nur zwei Türme vorsah, wie sie, wenn auch schmuckloser, später gebaut wurden. Ähnlich erging es Augsburg. In einem alten Stich wird St. Ulrich und Afra mit zwei flamboyanten Türmen  dargestellt, von denen nur der Nordturm ausgeführt wurde. Doch allem Anschein nach hatten Nopp bzw. Hans Mielich so guten Kontakt zum Domarchitekten Hieber, daß Nopp Wert darauf legte, daß der von Hieber angestrebte Ergänzungsbau zu einer viertürmigen Kirche durch diesen Ausblick publik gemacht werden sollte. Leider verhinderten die Streitigkeiten unter den Konfessionen die Realisierung dieser Architektur-Vision. Von Nopp selbst ist überliefert, daß er milde und tolerant gewesen sei d.h. kein Scharfmacher im Konfessionsstreit war. Immerhin gibt es von jetzt an für den bisher gesichtslosen Exponenten der Reformation in Regensburg erstmals ein charakteristisches Portrait.
                                                                                                                                                                   
© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2014


Fortsetzung des Beitrags unter ´Maria Magdalena Nopp´
08.01 Mielich Hieronymus-Nopp-HandschriftHandschrift von Hieronymus Nopp