Erstveröffentlichung

Hans Holbein d. J.

Katherine Bertie,
Duchess of Suffolk
               
                          

katherine brandonHans Holbein d. J.: Katherine Brandon
Duchess of Suffolk. 1536-40
Bei Holbein ist die Anzahl weiblicher Portraits an seinem Werk erstaunlich hoch. Legt man die Vorzeichnungen für die Portraits zugrunde, sind 41% davon Frauen. War der Grund ein Repräsentationsbedürfnis des englischen Adels, die Aufgeschlossenheit gegenüber der Kunst, oder weibliches Selbstbewußtsein, die zu diesen Aufträgen geführt haben?


Holbein malte keine Diptychen mehr, wenn er Paare porträtierte. Diese waren vorher zu Hans Memlings Zeiten gängig. Es existiert noch eine Reihe von Holbeins Paarbildern wie z. B. das von 1527: Sir Henry Guildford und Mary Wotton, Lady Guildford. Dabei schaut der Mann im ¾ Porträt nach rechts, die Frau nach links. Bei dem hier behandelten anonymen Portrait einer Dame  von 1536/40 (Öl auf Holz, 72 x 49,5 cm,
The Toledo Museum of Art/USA) wäre es also denkbar, daß es einmal zu einem Paarbild gehört hat. Überliefert ist nur die Bemerkung »vermutlich zur Familie Cromwell gehörig«, die vom Museum übernommen wurde. Doch dieser Hinweis führt in eine Sackgasse. Bei der Datierung käme rechnerisch nur eine Tochter des Kanzlers Thomas Cromwell (ca. 1485─1540) infrage; doch seine beiden Töchter starben schon im Kindesalter. Daher kommt nur eine andere junge Adlige in Betracht. 

Die von Holbein porträtierte Dame wird von wikipedia als Königin Catherine Howard, die fünfte Frau Heinrich VIII., deklariert. Diese Ansicht löste Lionel Cust 1911 aus. In seinen Notes on Pictures in the Royal Collection (S. 82) konstatiert er ohne vorherige Beweisführung: »It is surprising, therefore, that Holbein should have painted a portrait, or more than one portrait, of Catherine Howard…«. Der Wunsch nach einem Portrait der kurzzeitigen Königin war offenbar der Vater der Tatsachenbehauptung, obwohl schon Cust selbst referierte, daß der damalige französische Botschafter in London von Catherine’s »beauté médiocre« berichtet habe. Da es immerhin zwei alte Kopien des Porträts gibt, kann man sich vorstellen, daß es eine Nachfrage nach Bildern der Königin gab. Das Toledo Museum schreibt jedoch: »No authentic portrait of Catherine Howard is known«. Die Abwehr rührt offenbar daher, daß lange Zeit, u.a. noch 1950 durch Paul Ganz (S. 238), behauptet wurde, das Frauenporträt zeige Catherine Howard. Wer den Lebenslauf dieser Frau kennt, zweifelt daran, daß sie so züchtig und wohl auch introvertiert aussah; ihr Lebenswandel spricht völlig dagegen. Schon Parker ist daher von dieser Annahme abgerückt.

Um diese Widersprüche zu klären, ist es notwendig, die Lebensgeschichte dieser Catherine daraufhin abzusuchen, ob in dem Bild Anknüpfungsmöglichkeiten für Catherine gegeben sind. Da ein Vergleich mit einem authentischen Bild von ihr nicht möglich ist, wäre dies der einzig gangbare Weg.

6.06 Holbein Katherine Brosche 240Das auffälligste Ausstattungsstück im Bild ist eine Brosche. Holbein hat viel Sorgfalt auf die textilen Schmuckelemente gerichtet, besonderes Augenmerk auf die große, im Original wohl ca. 8─10 cm große Brosche zuunterst des Ausschnitts. Sie ist aus Gold gefertigt; im Mittelpunkt befindet sich ein schwarzer Edelstein, der von einem figürlichen Motiv umrahmt wird. Man erkennt in der rechten Hälfte selbst in der Reproduktion noch deutlich einen alten Mann mit Stock in der Rechten, dem ein Engel voranschreitet. Der Clou an der Szene ist: Der schwarze Edelstein bildet den Körper einer weiblichen Gestalt, welche die entgegengesetzte Richtung des alten Mannes einschlägt. Doch das erkennt man nicht auf den ersten Blick.

Die Kunsthistoriker Oskar Bätschmann und Pascal Greiner (S. 172) haben sich mit der künstlerischen Absicht beschäftigt: »Die Metamorphose des Lebenden zu Stein, das Thema des Schmuckstücks ist, ist im übertragenen Sinn auch Thema des Porträts. Holbein selbst hat die Brosche entworfen, die Vorzeichnung ist erhalten. Daß er sie so exponiert darstellt, hat seinen Grund weniger in einer moralischen Absicht als in der Demonstration der Kühnheit seines Concettos. Ein Schmuckstück mit einer Versteinerungsszene ist ein Fingerzeig auf die Macht des Künstlers, der die gleiche Transformation bei seinem Modell bewirken kann«.

In der Renaissance wurden überwiegend antike Stoffe als Vorlagen zur Ausschmückung verwendet. Daß es sich hier aber um eine Geschichte des Alten Testaments handelt, haben erst Kunsthistoriker herausgefunden, als sie die Entwurfsskizzen Holbeins im British Museum für Schmuckstücke mit den Gemälden verglichen haben. Ausnahmsweise hat Holbein den Entwurf beschriftet hat mit LOT · GEN · 19· (1.Mose 19, 16 ff). Lot war ein Neffe von Abraham. Eine Szene mit diesem Thema kommt in der Kunstgeschichte selten vor, und man wundert sich, daß solch ein Stoff überhaupt gewählt wurde, denn er handelt von der Flucht aus dem zügellosen Sodom. Die Frau erstarrt zur Salzsäule, als sie sich umwendet und auf das brennende Sodom zurückblickt; Holbein setzt dafür – wirklich ein Kunstgriff - einen schwarzen Stein in die goldene Fassung ein. Dabei fällt eigentlich weder auf den Vater, noch auf die Mutter ein positives Licht. Exegeten des Neuen Testaments haben jedoch hervorgehoben, daß in 2. Petrus 2,7 f Lots Gerechtigkeit ausdrücklich hervorgehoben wird, weil er sich nicht am Lebensstil Sodoms beteiligte.

Sucht man das relativ kurze Leben der Catherine Howard nach einem Vorkommnis ab, auf das sich die Auswahl des Motivs beziehen könnte, wird man enttäuscht. Catherine wurde 1524 oder ein wenig vorher in einer Nebenlinie des bekannten englischen Geschlechts geboren. Der Onkel war der Politiker Thomas Howard (1473─1554). Da die Mutter starb, gab der Vater sie jenem zur Erziehung; er selbst war militärisch in Calais stationiert und kam 1539 um. Doch der Pflegemutter Agnes, Duchess of Norfolk, mußte entdecken, wie sich Catherine mit einem jungen Mann aus der weiteren Verwandtschaft eingelassen hatte (vgl. Beitrag  Culpeper). Zur Kaschierung des Vorfalls vermittelte Agnes das Mädchen an den Hof, da dort gerade adlige Damen als maid of honour für das Gefolge der eintreffenden neuen, vierten Frau, von Henry VIII, Anne von Cleve, gesucht wurden.

Die frühreife Catherine nutzte die Gunst der Stunde und wußte, wie sie sich Henry VIII gegenüber positionieren mußte. Sie beobachtete nämlich, daß Henry von Anne ´not amused´ war und verstand, Henry sehr rasch für sich zu gewinnen. Die ´Ehe´ der beiden Fürstlichkeiten wurde annulliert, und Henry heiratete kurz danach heimlich Catherine im Oatlands Palace/Surrey. Thomas Cromwell, (ca. 1485─1540) der die Ehe mit Anne von Cleve eingefädelt hatte, wurde am gleichen Tag kurzerhand enthauptet.

Der Lebenslauf Catherine‘s in der National Biography von Susan Wabuda und Retha M. Warnicke umfaßt zwar neun Spalten, liefert aber kein Vorkommnis, das einen Anlaß für die besondere Brosche bedeuten könnte. Auch ist die Kleidung der Porträtierten zwar wertvoll und fürstlich, aber nicht einer Anwärterin auf eine Königin entsprechend, eher einer Hofdame.  Außerdem wird im Gemälde das Alter der Person mit 21 angegeben. Setzt man das Geburtsjahr von Catherine günstig mit 1522 an, wäre das Holbein-Porträt 1543 gemalt worden. Catherine wurde aber schon ein Jahr früher enthauptet. Damit scheidet sie als Kandidatin für das Porträt aus. 

Merkwürdigerweise scheint bisher kein Abgleich der in Windsor Castle gelagerten weiblichen Porträtzeichnungen Holbeins mit dem erwähnten Gemälde vorgenommen worden zu sein. Sonst hätte, schon von der Haltung der Person her, auffallen müssen, daß das Blatt Nr. 21194 eine verblüffende Ähnlichkeit in Haltung und Physiognomie mit der im Gemälde Dargestellten hat. Die Zeichnung ist mit dem nachträglichen, aber alten Vermerk »the Dutchefs of Suffolk« versehen.

06.06 Holbein  Katherine Duchess of SuffolkHolbein Langtext 240Hans Holbein d. J.: Katherine Duchess of
Suffolk. Kreidezeichnung. 1534
Folgt man dieser Spur, stößt man auf eine junge Frau, von der sonst in kein Porträt vorkommt: die Herzogin von Suffolk, Katherine Brandon, geboren am 22.3.1519. Addiert man das von Holbein angegebene Alter (AETATIS SVAE 21) hinzu, ergibt sich für das Porträt das Entstehungsjahr 1540. Die Datierung könnte zur Vita passen. Allerdings existiert lt. en.wikipedia.org/wiki.Catherine_Willoughby,12th_Baroness_Willoughby _de_Eresby noch eine Holbein zugeschriebene Miniatur, deren Gesicht jedoch so ausdruckslos ist, daß man an der Urheberschaft zweifelt; zur Identitätsprüfung erweist sich die Miniatur als ungeeignet.

Auf die Welt kam die duchess of Suffolk als Katherine baroness Willoughby de Eresby. Ihr Vater William Willoughby, war der reichste Grundbesitzer in Lincolnshire/East Anglia. Sein Besitz umfaßte rd. 30 Rittergüter. Da es keinen übergeordneten Magnaten dort gab, leitete Sir William die Verwaltung des Distrikts selbst. 1516 heiratete er als zweite Frau eine Spanierin namens María de Salinas (vor 1490─1539), eine kastilische Hofdame. »Zu dieser furchtbaren Zeit reiste aus Spanien eine neue Hofdame an: Maria de Salinas… Sie sollte sich als eine der treuesten Freundinnen und Dienerinnen Katharinas erweisen. Etwas jünger als ihre Herrin, in ihrer Jugend sehr anmutig und hübsch, war sie mit Katharinas [Catalina de Aragón y Castilla, 1485─1536} über die aragonesische Seite ihrer Familie weitläufig verwandt… Zu den guten Eigenschaften Marias zählte neben ihrer Zuverlässigkeit auch ein hohes Maß an Taktgefühl« (Antonia Fraser S. 54).  Katharina d’Aragon wurde 1509 nach kurzer Ehe mit Kronprinz Arthur in zweiter Ehe mit dessen Bruder, Henry VIII, verheiratet. 

In Anhänglichkeit an Katharina d’Aragon nannte María de Salinas ihre einzige Tochter Katharine. Doch ihr Mann, der 44jährige Sir William, starb sieben Jahre später und lieferte dadurch seine Witwe Schwierigkeiten aus. Der Bruder des Verstorbenen, Sir Christopher Willoughby, beanspruchte sowohl den Titel als auch das Erbe. Der vordem gut verwalteten Grafschaft drohte damit eine Destabilisierung. In der prekären Situation wandte sich die Witwe an den Königshof und ersuchte um Unterstützung. Henry VIII, seit 1509 König und 2. Mann der Katherina d’Aragon, entschied dadurch, daß er seinen Schwager, Charles Brandon (ca. 1485─1545), Herzog von Suffolk als Vormund für Katherine einsetzte.

Lord Brandon zu holbein katherineUnbekannter Künstler:
Charles Brandon, Duke of Suffolk
»Brandon war ein Mann großer Ambitionen« (Susan Wabuda) und einer außergewöhnlichen Karriere. Er und König Henry VIII kannten sich von Kindheit an; außerdem war Brandon alter ego für Henry VIII. Dieser sandte ihn als seinen Vertrauten  an den französischen Hof, als es darum ging, des Königs Schwester, Mary Tudor, die kurzzeitige Frau König Louis XII., zurückzuholen und die Bedingungen dafür auszuhandeln. Diese verliebte sich offenbar auf der Stelle in den Charmeur Brandon und ließ sich noch auf französischem Boden trauen, obwohl er verheiratet war. Henry VIII war zunächst über diese Eigenmächtigkeit empört, fand sich aber bald mit dieser unplanmäßigen Heirat ab.                   


Aus der Ehe ging ein Sohn hervor: Henry Brandon. Dieser wurde als 10jähriger zum Earl of Lincoln erhoben. Da Henry VIII vergeblich auf einen männlichen Erben wartete, hatte der neue Earl of Lincoln sogar eine Chance zur Thronfolge. 

Der agile Charles Brandon bekleidete zahlreiche Ämter bei Hofe und war zeitweilig sogar Oberbefehlshaber der englischen Armee. Außerdem führte er in Rom die Verhandlungen über König Henry’s Scheidung. Brandon bekam vom Papst für seinen Schritt Dispens, der König  nicht. Des Weiteren war er intensiv um die Erweiterung seines Besitzes bemüht. Dieser lag auch in East Anglia, wo er Stück um Stück der Ländereien der Familie de la Pole an sich brachte. Die Einsetzung als Vormund von Katherine Willoughby kam ihm sehr gelegen. Seine Strategie sah vor, daß sein Sohn Lincoln Katherine heiraten sollte. Doch scheint er kränklich gewesen zu sein. Der Jüngling starb 1534. Als Charles Brandon dies kommen sah, entschloß er sich, Katherine als vierte Frau selbst zu heiraten, da 1533 seine Frau Mary Tudor starb. Katherine war um diese Zeit erst 14 Jahre alt. »Katherine, wie sich noch erweisen sollte, ein Mädchen von unabhängiger Geisteshaltung, stieß ihn nicht zurück«  (A. Fraser S. 228). Sie wurde durch die Heirat Herzogin von Suffolk. Der Herzog von »Suffolk … hatte nichts von seiner erotischen Anziehungskraft verloren, die ihn zum meistbegehrten Mann am Tudorhof gemacht hatte vor allem bei Turnieren« (A. Fraser S. 228). Doch die Ehe des ungleichen Paares schien zu gelingen. Sie bekamen zwei Söhne: Henry und Charles. 

Derweil ging Brandon mit Nachdruck gegen Sir Christopher vor, den Onkel seiner Frau,  um ihn von seinen Besitzungen zu vertreiben. Erst unter der Regierung von Elizabeth I erhielt Katherine ihr volles Erbe zurück. Zunächst wurde sie bei der Säkularisierung mit einigem Klostergut abgefunden. Brandon stieg dadurch zum größten Landlord in Lincolnshire auf. Damals bauten Brandon und Katherine sich ein elegantes Schloß.

Offenbar hatte die Mutter am englischen Königshof miterlebt, wie zügellos es zeitweilig dort zuging. Das kann damit zu tun gehabt haben, daß es in England kein spanisches Hofzeremoniell gab, da viele von Henry VIII in den Adelsstand Erhobenen Emporkömmlinge waren. Jedenfalls ging es eher freizügig zu. Das legt die Vermutung nahe, daß die offenbar streng katholische Mutter Katherine straff erzog und vom Hof fernhielt, den sie vielleicht als ein neues Sodom empfand. Als Auftraggeber für das Schmuckstück kamen daher nur sie und ihr Mann infrage. 

Der Herzog von Suffolk, Katherines Mann, hatte offenbar keine strengen religiösen Grundsätze, denn Protestanten gehörten zu seinem Personal. Daß aber sein aus Schottland stammender Kaplan Alexander Seton gezwungen wurde, einen evangelischen Sermon zu widerrufen, scheint für Katherine den Wendepunkt in ihrer religiösen Haltung bedeutet zu haben. Berichtet wird nämlich, daß sie danach zum Kreis der Reformer bei Hofe gehörte, welcher der Königin Katherine Parr, der 6. Frau Henry’s, Rückendeckung gab. Die Königin bezog sie in ihr Kalkül ein, als die Altgläubigen in den letzten Monaten vor dem Tod Henry’s die protestantische Führung zu stören versuchten. Es folgten für Katherine gravierende Ereignisse. 1546 starb ihr Mann, 1547 der König. »Doch als die Kräfte des früher ´schneidigen´ Herzogs von Suffolk  erlahmten, wuchsen die seiner jungen Frau Katherine; sie reifte zu einer wahren Tigerin heran: >eine Dame mit scharfem Verstand und sicherer Hand, ihn einzusetzen und damit zuzuschlagen, wenn es ihr gefiel< [John Parkhurst]« (A. Fraser S. 423). Sieben Jahre früher ist Katherine’s Portrait zu datieren. Leider hat Holbein in diesem Fall selbst keine Datierung vorgenommen. So ist es erforderlich, die Details des Gemäldes auf eventuelle Hinweise abzusuchen.

Katherine erscheint in dem Gemälde fürstlich, jedoch nicht mit Schmuck überladen. Von den Handgelenken aufwärts bis zu den Schultern führt, in Abschnitten mit einer Art Schleife unterteilt, ornamentaler Besatz, der sich kompositorisch im Bild zu einem schrägen Kreis zusammenfügt. Aus den Ärmeln treten helle Manschetten mit floralem Dekor.

Ihr Hals wird durch einen vorn geöffneten weißen Kragen sichtbar. Sie trägt eine aus Edelsteinen aufgefädelte Kette mit einem teilweise verdeckten Anhänger. Auf dem Hinterkopf befindet sich eine edle Haube, die von ihrem straff gekämmten Haar mit Mittelscheitel die Hälfte sehen läßt. Nach oben wird die Haube umrahmt mit einer Banderole, welche die Form des Besatzes auf den Ärmeln wieder aufnimmt.

Damit stößt man auf das erwähnte Ausstattungsstück, das wohl eine individuelle Aussage beinhaltet. Zunächst konnte man annehmen, es würde hier auf ihren heimgegangenen Vater, Sir William, angespielt, der ins Jenseits gewandert ist. Erst der Vergleich mit der Entwurfsskizze zu der Brosche läßt erkennen, daß auch eine Tochter hinter dem Vater abgebildet ist. Wird die Frage gestellt, ob es Catherine Howard zuzutrauen gewesen wäre, daß sie bei Holbein den Auftrag für diese Szene erteilt hat, ist dies zu verneinen. Dagegen erscheint dieser Auftrag plausibel für die Mutter von Katherine.

Den Tod ihres Vaters hatte Katherine als Siebenjährige erlebt; hier ist sie 21. Aber noch auf dem Gemälde scheint ihr in sich gekehrter Blick den Hauch von Trauer einer Halbwaisen anzuzeigen. Die Schwierigkeiten mit ihrem Titel und ihrem Erbe waren auch 1540 noch nicht behoben. Katherine’s gefaltete Hände sprechen für eine betont gläubige Frau. Zudem scheint eine gewisse Strenge aus dem Porträt hervorzugehen: ihre dunkle Garderobe, ihr ernster Blick. Man glaubt, eher eine Spanierin als eine Engländerin vor sich zu haben, vergleicht man mit dem Holbein-Porträt der Lady Guildford.

Die Brosche ist der Angelpunkt der Beweisführung. Holbein hat jedoch am unteren Bildrand und angeschnitten unter den gefalteten Händen von Katherine eine bestickte Tasche angedeutet. Der obere Teil ist noch auf der Leinwand erkennbar. Darin werden in einem Queroval zwei anbetende Engel (einer links, einer rechts) sichtbar, die, so nimmt man an, vor Gottvater auf dem Thron knien. Dieses Motiv und die gefalteten Hände könnten als Indiz ihrer Altgläubigkeit gedeutet werden, denn um die Zeit verzichteten die meisten der von Holbein Porträtierten auf religiöse Anspielungen.

Daß ihre Gläubigkeit echt war, zeigt Katherine’s weiterer Lebenslauf. Nach dem erwähnten Umschwung infolge der religiösen Zensur sah sie nach dem Tod ihres Mannes ihre Lebensaufgabe darin, der Reformbewegung Mittel zur Verfügung zu stellen. Etliche Textausgaben der Reformer tragen ihr Wappen bzw. wurden ihr gewidmet. Daraus ist zu schließen, daß sie sie finanziell ermöglicht hat. Selbst Erasmus von Rotterdam gehörte zu diesem Kreis; er dedizierte Katherine eine seiner Paraphrasen-Ausgaben. Zudem förderte sie die Bibelübersetzung von William Tyndale. Die damaligen Zustände unter Henry VIII verboten Frauen der unteren Schichten die Bibellektüre. In der Zusammenarbeit mit Bischof Holbeach führte Katherine in Lincolnshire die protestantische Lehre ein. Hugh Latimer aus Oxford hat u.a. in ihrem Schloß Grimsthorpe gepredigt. Ihre beiden Söhne studierten in Cambridge und gerieten dort unter den Einfluß von Martin Bucer, dem Reformator von Straßburg, starben jedoch zum Schmerz der Mutter fast gleichzeitig an einem Fieberanfall.

Die Ereignisse überstürzten sich. Sieben Jahre nach dem Tod von Charles Brandon heiratete Katherine erneut, diesmal Richard Bertie (1517─1582). Aber die Thronbesteigung von Henry’s VIII Tochter Mary 1533 brachte die Familie unter starken Druck. Zunächst versuchte Katherine, ihre Güter verfolgten Reformern als Refugium zur Verfügung zu stellen. Bischof Gardiner, der die Rekatholisierung leitete, mischte sich ein und ließ bei ihr anfragen, ob die Herzogin »nunmehr bereit sei, die Messe anzuhören, so wie sie sie vorher unterdrückt habe« (Acts & Monuments of John Foxe # 8.570).

Für das Ehepaar Bertie und ihre Getreuen blieb kein anderer Weg, als auf den Kontinent zu flüchten und zwar in ein Land der Reformation. Katherine’s Sohn aus zweiter Ehe wurde in Deutschland geboren; sie nannte ihn wegen des Exils Peregrine. Sie flüchteten über Wesel und Straßburg nach Frankfurt. Finanziell unterstützte sie dabei der polnische König. Doch der Tod von Queen Mary 1558 gab ihnen wieder Hoffnung. Im Folgejahr konnten sie heimkehren. Zuhause nahm Katherine ihre Hilfeleistungen erneut auf. Sie kam dabei jedoch in Konflikt mit der neuen Machthaberin, Elizabeth I. Diese mußte Zugeständnisse an Mary’s Anhänger machen, um politisch zu überleben. Auf Besitzungen von Katherine, wie der Holy Trinity Minories in London, sammelten sich aber mehr und mehr Puritaner, die mit der offiziellen Kirchenpolitik nicht einverstanden waren.

Als Katherine Bertie am 19.9.1580 starb, wurde sie von großem Gefolge begleitet und in Spilsby/Lincolnshire, nahe der Nordseeküste, beerdigt. Dort erinnerte lange Zeit ein fein gearbeitetes Alabaster-Monument an sie und ihren zweiten Mann.                                   

Copyright Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2014



Literatur
The acts & monuments of John Foxe. New edn. By G. Townsend. London 1843-49
Oskar Bätschmann/Pascal Greiner: Hans Holbein. Köln 1997
Lionel Cust: Notes on Pictures in the Royal Collections. London 1911
Antonia Fraser: Die sechs Frauen Heinrich VIII. Hildesheim 1994
Paul Ganz: Hans Holbein. Die Gemälde. London 1950
Yvonne Hackenbroch: Enseignes. Firenze 1996
Roy Strong: Tudor & Jacobean Portraits I/II. London. 1969
Susan Wabuda und Retha M. Warnicke. In: The National Biography, Vol. 5, Vol. 30. Oxford/UK 2004

Bildnachweise
Yvonne Hackenbroch: Enseignes. Firenze 1996  S. 337

K. T. Parker: HOLBEIN. Gesamtausgabe der Zeichnungen. London. 1947 Tafel 56
de.wikipedia.org/wiki/Charles_Brandon,1.Duke_of_Suffolk (26.1.2014)

Roy Strong: Tudor & Jacobean Portraits I/II. London 1969