Erstveröffentlichung

Joos van Cleve
Lambert de Briærde (Briardus)


21.03-Cleve-Briaerde-240Das eindrucksvolle Portrait-Paar von Joos van Cleve (ca.1490─1557) in der Galerie Alte Meister, Kassel (Brustbild des Mannes. Öl auf Eiche 64 x 49 cm. GK 20 und Brustbild einer Frau. Öl auf Eiche 64 x 49 cm. GK 21) schien bisher unaufklärbar. Dabei hat der Künstler einige Hinweise mitgegeben, nämlich außer der Datierung ─ 1526 beim Mann, 1525 bei der Frau ─ auch das jeweilige Alter der Dargestellten: 36 Jahre beim Mann, 38 Jahre bei der Frau. Wie stets gibt bei der Identifizierung der Mann den Ausschlag, weil individuelle Angaben zur jeweiligen Partnerin höchst selten überliefert wurden.

Der Dargestellte gibt sich kraftvoll und energisch im Blick auf den Betrachter, wie in der Gestik. Die rechte Hand umklammert demonstrativ ein Paar helle Handschuhe, welche auf einen Juristen bzw. einen Mann der Verwaltung deuten. Die schwarze Schaube mit geringem Ausschnitt und ein flaches dunkles Barett mit zwei schwarzen Riemen, die in den Ausschnitt hängen, vermitteln keine präzise Aussage. So blieb nur der Weg, in den Niederlanden nach einem maßgeblichen Mann über den Geburtsjahrgang zu suchen und dabei das Jahr der Eheschließung im Auge zu behalten.

Zieht man von der Datierung 1526 die genannten 36 Jahre ab, ergibt sich für den Mann der Geburtsjahrgang 1490. Daher kommt Lambert de Briærde aus Dunkerque, Heer van Indevelde (auch humanistisch: Briardus) infrage, von dem angenommen wird, daß er im Jahr 1490 als Abkömmling einer ritterlichen Familie geboren wurde. Offenbar war seine Selbsteinschätzung so hoch, daß er beim Portrait auf entsprechende Dekoration (eine goldene Kette bzw. ein Schwert) verzichtete. Ihn interessierten die Wissenschaften, wobei er sich für ein Jurastudium entschied. Es wird angenommen, daß er für sein Studium die Sorbonne in Paris wählte, denn dort promovierte er.

Offenbar war sein Studienabschluß so herausragend, daß de Briærde vom Großen Rat von Mecheln für die Kanzlei engagiert wurde. Der Bereich der eingehenden Anfragen und Gesuche wurde ihm übertragen. Dementsprechend hatte er viel Korrespondenz abzuwickeln. »Briefe waren ein außerordentlich wichtiges Medium für die politische und diplomatische Kommunikation jener Zeit. Die Bearbeitung der diplomatischen Post gehörte zu den wesentlichen Aufgaben einer Botschaft« (Lydia Dorn). Möglicherweise hatte Nicolaas Everærts (1461/62─1532) in seiner Eigenschaft als Präsident des Groote Rad bzw. Grand Conseil seit 1528 ein Auge auf ihn geworfen wegen de Briærdes zupackender Art; jedenfalls wurde er 1532 beim Tod seines Vorgesetzten sein Nachfolger und von da ab auch im Conseil privé des Kaisers. Von 1532 bis 1557 gehörte er außerdem dem Grote Raad in Mecheln an. An Everærts wurde seine sorgfältige humanistische Bildung gerühmt. Dazu paßt, daß er mit Erasmus von Rotterdam befreundet war. Namhafte Humanisten wie Dantiscus (s. Beitrag Meister Michel, Dantiscus) u.a. fanden bei Everærts ein offenes Haus. Es ist anzunehmen, daß sich de Briærde ähnlich verhalten hat.

In den Niederlanden war seit 1507 die Tante von Kaiser Karl V., Margarete von Österreich (1480─1530) die Statthalterin; durch ihre umgängliche Art war sie im Reich eine wichtige, vermittelnde Stütze. Sie brachte den sog. Damenfrieden von Cambrai zwischen dem Kaiser und Frankreich 1529 zustande. Ihr folgte die Kaiserschwester Maria von Ungarn. Lambert de Briærde hatte für beide z.T. schwierige Missionen zu bewältigen, offenbar aber zur Zufriedenheit der Regentinnen, denn er behielt die Präsidentschaft bis 1556 ( 1557), als er aus Altersgründen zurücktrat. Sein Biograph Britz stellte fest: » Lambert de Briærde aurait été le plus grande magistrat de son époche«.

In erster Ehe hatte de Briærde Marie de Boisot geheiratet, die Tochter von Philippe Haneton, dem Schatzmeister vom Orden des Goldenen Vlies, der höchsten Auszeichnung des Kaisers ( s. Essay Barett·Plakette·Devise·Imprese), In diesen ´Orden´ nahm er ─ anders als seine Vorgänger ─ auch verdiente Mitarbeiter im Staatsapparat auf. Marie de Briærde starb 1524/25, weswegen er 1526 Marguerite Micault ( 1596) heiratete, die Tochter des einflußreichen Jean Micault ( 1539), dessen Vater noch dem Vater des Kaisers, König Philipp dem Schönen (1478─1506) gedient hatte. Marguerite de Briærde ist hier ebenfalls von Joos van Cleve porträtiert.

Offenbar nahm de Briærde sein Amt mit voller Kraft wahr, so daß ihm kein zeitlicher Spielraum blieb. Überliefert ist deswegen nur ein Traktat, das sich mit dem Verhältnis von geschriebenem Recht und laufenden Gerichtsentscheidungen beschäftigt. Dieses Werk wurde erst 1562 veröffentlicht. Darin kombiniert er Latein, die damalige europaweite Juristensprache, mit der flämischen Umgangssprache. Ein weiteres Manuskript mit dem Titel Consilia sive responsa juris gilt als verschollen.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2020


Literatur
Peter van den Brink (Hg.): Joos van Cleve. Leonardo des Nordens. Stuttgart 2011 S. 99
Britz. In: Biographie National. Vol. III Bruxelles 1872
Marcel A. Nauwelærts. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003
B. Schnakenburg: Galerie Alte Meister. Textband. Mainz 1996 S. 99
www.kunstgeschichte-ejournal.net/309/1/Text_Lydia_Dorn.pdf (4.1.2016)

Bildnachweis
Peter van den Brink: Leonardo des Nordens. Stuttgart 2011 Nr. 20 S.99