Peter Paul Rubens
Lucas Vorsterman

063.02-RubensVorst240Im Jahr 2016 tauchte im Kunsthandel (Christie’s) ein kaum bekanntes Werk von Peter Paul Rubens auf (Head of a Bearded Man. Öl auf Eiche 50,9 x 41,2 cm), das bisher in Irland aus Sicherheitsgründen unter Verschluß gelagert wurde. Die besitzende Institution (Beit Foundation at Russborough House) hatte sich zum Verkauf entschlossen, »as a way to shore up the crumbling finances of the house« (Douglas Dalby in the New York Times lt. Lorne Manley). Es fand sich eine Gruppe von Sponsoren, welche das Gemälde für Irland retten und der National Gallery of Ireland übergeben wollte (lt. Irish Art Review), so daß es nicht zu einer Auktion kam.

Das Gemälde ist undatiert. Sein temperamentvolles Hell-Dunkel zeigt einen nach rechts geneigten rotblonden Lockenkopf von ca. 30 Jahren, dessen Identität die Kustoden bisher nicht aufklären konnten. Allem Anschein nach handelt es sich nicht um einen Adligen, obwohl eine doppelte goldene Kette über der linken Schulter hängt; doch bei einem Adligen muß die Kette um den Hals hängen. Auch ein Wissenschaftler kommt, mangels Barett, wohl nicht infrage. Von dem dunklen Rock, aus dem ein Schillerkragen hervorragt, ist wenig zu sehen. Etwas entgegen der damaligen Mode weist der Mann einen rotblonden Lockenkopf auf. Diese Künstlermähne führte auf die Spur zu dem Dargestellten.

Zur Identifikation kam es auf dem Umweg über die Beschäftigung mit Anthonis van Dyck. Dieser hatte ca. 1631 ein Portrait des Zeichners und Plattenschneiders Lucas Egidius Vorsterman (1595─1675) aus Antwerpen gezeichnet (schwarze Kreide 24,4 x 17,9 cm. The Fitzwilliam Museum, Cambridge/UK Nr. PD.30-1961), das der Porträtierte selbst in eine Radierung von lebhafter Hell-Dunkel-Wirkung umsetzte. Das Blatt erschien ca. 1638 in einer Iconographia betitelten Sammlung 063.02-RubensVorsterman-NEBAnthonis van Dyck: Lucas Vorsterman.
Grisaille. The Boughton House/
Northamptonshire
von 28 Kupferstichen von Portraits in Amsterdam.


Der nur rd. zehn Jahre jüngere Künstler Joachim Sandrart ist voll des Lobes über Vorsterman. Als Autor des großen Kupferstichwerkes Teutsche Academie wußte Sandrart aus eigener Erfahrung, worauf es beim Kupferstich ankommt, und rühmte die Versiertheit Vorstermans: »…Gegen-Glanzes / worinnen er also verwunderlich erfahren gewesen / daß alles sich meisterhaft gerundet und einander erhoben… daß es nicht beßer mit Penseln in weiß und schwarz hätte zuwege gebracht werden mögen. Wodurch er dann das Lob erlanget / daß er der Mahler mit dem Grabstichel benannet«.

Dieser Stecher Vorsterman wurde von Rubens entdeckt und von ihm angeleitet für die gefragten Gemäldereproduktionen in Kupferstichen. Jahrelang arbeitete Vorsterman zur Zufriedenheit von Rubens: »ein richtiges Wunderkind, inzwischen Anfang zwanzig, von dem man sagte, daß er schon seit seinem zwölften Lebensjahr ein versierter Kupferstecher gewesen sei« (Simon Schama S. 189). Doch offenbar änderte sich Vorstermans Gemütslage.

Rubens bekam Disziplinschwierigkeiten mit ihm ─ wie er in einem Brief von Pieter van Veen schreibt ─ und »warf ihm vor, daß er seit zwei Jahren von seinem Kupferstecher keine vernünftige Arbeit mehr bekommen habe, denn dieser wäre dem Laster der ablasia, der arroganten Faulheit und des Stolzes, verfallen« (Schama S. 190). Diese Haltung steigerte sich bei Vorsterman zu Unverschämtheiten, bei denen sich Rubens sogar körperlich bedroht fühlte. Manche hielten inzwischen Vorsterman für geistesgestört.

Vorlage aus wlb-Buch Schama, Rembrandt S. 190

Lucas Vorsterman: Selbstportrait. Radierung nach dem Vorsterman-Portrait von Anthonis van Dyck. Rijksprentenkabinet, Amsterdam

Diese Tendenz scheint sich sogar in einer Radierung niederzuschlagen, die Vorsterman nach einer Zeichnung von Anthonis van Dyck anfertigte; sein Augenausdruck hat dort etwas Fanatisches bekommen, obwohl ihm van Dyck eher einen versonnenen Ausdruck verliehen hatte. In der Radierung hat Vorsterman sich ganz offenbar dramatisch dargestellt ─ und diese Haltung störte Rubens. Daß Vorsterman dazu neigte und ein innerlich unruhiger Mensch war, ist unmittelbar der Radierung zu entnehmen.

Doch zurück zum Rubens-Gemälde. Die Ähnlichkeit des Dargestellten mit der Person der Radierung ist frappant. Damit erklärt sich auch die beigabenlose Darstellung; Vorsterman war kein Auftraggeber für das Portrait, sondern Rubens hat seinen Mitarbeiter aus einer Laune heraus im Gemälde festgehalten. Das Rubensportrait hat folglich etwas Skizzenhaftes. Zudem paßt die Entstehung des Gemäldes (und der Radierung) zum Lebenslauf von Vorsterman, der 1595 in Zaltbommel zur Welt kam und in Antwerpen tätig war. Nur 1624-30 hielt er sich in England auf und arbeitete bei Graf Thomas Arundel an Reproduktionsstichen. Seit 1619 war er verheiratet mit Anna Francx und hatte drei Kinder, von denen der Sohn Lucas (*1624) ebenfalls künstlerisch tätig war. Cornelis de Bie, der als erster über Vorsterman schrieb, bemerkt 1661: ´Met pen en inck, graef-yser, kryt en kool´ (mit Feder und Tinte, Kreide und Kohle) sei er ohne Lehrmeister schon so versiert gewesen, als Rubens ihn engagierte, daß dieser ihn in seiner Werkstatt zum Stecher ausbildete. Vorsterman fertigte nicht nur von gefragten Rubens-Werken großformatige Kupferstiche an, sondern auch von Holbein d.J., van Dyck u.a. Als Zeichner nannte man ihn in Brabant »den Phenix … van’t Landt« ─ nachvollziehbar, daß ihm diese Einstufung zu Kopf stieg. Vorsterman starb 1675.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2023

Literatur
Hans Rombaut/Rutger Tijs. In: Nationaal Biografisch Woordenboek. Vol. 16. Brussel 2002
Simon Schama: Rembrandts Augen. Berlin 2000
Arthur K. Wheelock u.a. (Hg.). Anthony Van Dyck. Washington 1990

Bildnachweise
Christie’s 2016 (jedoch nicht in den Katalogen 2016)
Simon Schama: Rembrandts Augen. Berlin 2000 S. 190
https://www.google.com/search?rlz=1C1GCEA_enDE1045DE1045&q=Rubens,+Portr%C3%A4ts&tbm=isch&source=univ&fir=MjTpDf22p32A8M%252CEGVmJThNEBtfFM%252C_%253BBEqgHSns74NjOM%252CmqP4fhKya_UamM%252C_%253B9HShNYkcaPa1qM%252CjLVVA2GU7ytWCM%252C_%253BhTiR7ern0PMvwM%252CWzJXS8wCYUygNM%252C_%253B9fd7Qdoa-xGuvM%252Cyqrp80_vKzZGgM%252C_%253BbPxNYT5BpAa62M%252CuUWSEa-jA5eGYM%252C_%253BPPs270kCijDIJM%252CWcctbyMbm-zNXM%252C_%253B-1e1vTlWcMsGdM%252Ch_FatBcIo9VomM%252C_%253BFQwDXG1xdNoO-M%252Ct2hwVWV-Tpft1M%252C_%253BQoYxgYGPtAhHgM%252CgyRGY-OIiH2vsM%252C_&usg=AI4_-kTb2- u_I_zK2oRbGmoE0rsUf-ClhA&sa=X&ved=2ahUKEwjn07_Ot6z-AhWrh_0HHcToDO8Q7Al6BAgSED4&biw=1280&bih=601&dpr=1.5#imgrc=4qkQqzjkcBa78M (15.4.2023)
www.meisterdrucke.de/kunstdrucke/Anthony-van-Dyck/1340171/Lucas-Vorsterman.html (20.3.2023)