Bartholomäus Bruyn d. Ä.
Nikolaus von Enschringen

12.29-Enschringen 240Zum frühen Bestand der Alten Pinakothek, München (Nr. WAF 97) gehörte das Bildnis eines Mannes von Bartholomäus Bruyn d. Ä. (Öl auf Eiche 51 x 36,3 cm oben geschweift), denn es gelangte über die berühmte Sammlung Boisserée nach München. Leider fehlt eine Datierung. So nimmt man auf Grund eines Stilvergleichs 1530/40 für die Entstehung an. Bei Westhoff-Krummacher ist es nicht erfaßt.

Ein Mann mittleren Alters in schwarzer Schaube und schwarzem Barett sitzt an einem angeschnittenen Tisch, auf den er beide Hände gelegt hat. Die rechte Hand hält ein offenes Buch mit einem nicht sehr deutlich wiedergegebenen Wappen. Alle Anzeichen sprechen für einen Akademiker von Adel. Ungewöhnlich an dem Bild von Bruyn ist ein in Falten hängender Vorhang im Hintergrund der Person, möglicherweise ein Einfluß von Hans Holbein d. J. Sonderbar mutet dabei an, daß ein schemenhaft angedeuteter Kopf hinter dem Vorhang hervor lugt. Die bisherigen Interpreten sahen darin die Andeutung eines Totenschädels.

Diese Rahmenbedingungen reichten bisher nicht für die Ermittlung einer passenden Person aus. Das liegt vor allem daran, daß Bruyn nicht, wie sonst häufig, auch das Lebensalter der Person im Bild vermerkt hat. Das etwas grobe Gesicht läßt sich daher nur auf ca. 30─40 Jahre schätzen.

Nachdem sich neuerdings ergeben hat, daß Bruyn zu einem wesentlichen Teil seines Portrait-Œuvres Erasmianer (s. Essay Bartholomäus Bruyn und das Umfeld des Künstlers) porträtiert hat, wurde unter diesen nach einer Person mit dem Geburtsjahr ca. 1490 geforscht. Es kommen mehrere Personen infrage. Beim Abgleichen der Lebensläufe, soweit überliefert, kam Nikolaus von Enschringen in Betracht, da mehrere Fakten für ihn sprechen. So stand sein jüngerer Bruder Gerhard mit Erasmus von Rotterdam in brieflicher Verbindung. Die Familie wird bei Zedler um 1732 bezeichnet als »eine adliche nunmehr ausgestorbene Familie am Rhein«.

Nikolaus von Enschringen wurde vermutlich 1489/90 als Sohn des Ritters Dietrich von Enschringen geboren, denn er schrieb sich 1505 in die Matrikel der Deutschen Nation in Bologna ein. Diese Spitzenuniversität kam nur für Studenten mit wirtschaftlicher Protektion infrage. Seine Eltern gehörten zum kurtrierer Adel; Zedler erwähnt mehrere Familienmitglieder, von denen Landolff als »Doctor Juris« bezeichnet wird und »Probst zum Hl. Creutz in Mayntz«. Die Rückendeckung bekam Nikolaus von Enschringen aber wohl von seinem Onkel, dem kurtrierischen Kanzler Johann von Enschringen ( 1539). Dort studierte Nikolaus von Enschringen Jura, bis er 1513 Licentiat beider Rechte wurde. Seine finanzielle Basis bestand aus mehreren Pfründen (St. Simeon in Trier und Domkapitel Trier). Seine praktische Ausbildung bekam er als kaiserlich-luxemburgischer Rat; gleichzeitig war er auch für Kurtrier tätig d.h. für den Stab seines Onkels. Nach dessen Tod rückte er in dessen Stellung als Kanzler des Erzbistums Trier auf. Solche Familiendynastien gab es damals vielfach.

Drei Merkmale zielen darauf hin, daß der Dargestellte tatsächlich Nikolaus von Enschringen ist. Das Wappen auf dem Buch ist zwar undeutlich, läßt aber gerade noch einen nach links aufsteigenden Löwen ahnen. Ein Wappen dieser Art führte die Familie von Enschringen lt. Rietstap tatsächlich. Dort wird die Familie sonderbarerweise als preußisch bezeichnet ─ dieser Zustand trat erst im 19.Jahrhundert ein. Die Abbildung eines Buches bedeutete zu der Zeit, daß der 12.29-Bruyn-Enschringen-Wappen 240 Wappen der Familie von EnschringenDargestellte sich als Autor hervorgetan hat. Eine überregionale Suche in den großen deutschen Bibliotheken nach dem Autor Nikolaus von Enschringen fiel leider negativ aus.
Bei vielen mit Doppelvermerk (Alter und Datum) versehenen Portraits der Renaissance stellt man fest, daß ein besonderer Anlaß, ein Ereignis im Leben bzw. der Karriere für einen Portraitauftrag maßgeblich war. Da ein exaktes Jahr hier im Bild nicht erwähnt wird, scheint eine Festlegung unmöglich zu sein. Interessant ist jedoch, daß der Dargestellte 1539 sein Karriereziel erreichte, nämlich seinen Onkel als Kanzler abzulösen. Daher ist es naheliegend, 1539 als Jahr des Portraitauftrags anzunehmen.

Diese Annahme wird gestützt durch die etwas ungewöhnliche Behandlung des Bildhintergrunds. Wie bereits erwähnt, wird hinter dem gemalten Vorhang ein Gesicht, genauer ein Totenschädel, angedeutet. Daraus geht hervor, daß Nikolaus von Enschringen sich bei dem Auftrag bewußt war, daß er sein Amt nicht lange würde führen können, weil er krankheitshalber den Tod nahen fühlte. Dieser trat bereits 1543 ein. Vom persönlichen Motiv für den Portraitauftrag ergibt sich somit eine Parallele zu einem anderen Kanonikerportrait von B. Bruyn (s. Beitrag Bruyn d. Ä., Dietrich vom Stein-Nassau). In Wolfsfeld/Rheinland-Pfalz befindet sich noch ein historisches Burghaus derer von Enschringen.

Damit ist es gelungen, nicht nur die Identität der dargestellten Person zu eruieren, sondern auch die Datierung des Bildes zu rekonstruieren.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart 2019

Literatur
Rüdiger an der Heiden: Die Alte Pinakothek. München 1998
Elisabeth Kloosterhuis: Erasmusjünger als politische Reformer: Humanismusideal und Herrschaftspraxis am Niederrhein im 16. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien 2006 S. 657/58
Martin Schawe: Alte Pinakothek. Altdeutsche und altniederländische Malerei. München 2006
Johann Heinrich Zedler: Das Große vollständige Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Leipzig 1732-34

Bildnachweis
Martin Schawe: Alte Pinakothek. München 2006 S. 98
https://bitburgerland.de/og-liessem/wappen/ (30.12.2018)




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