Erstveröffentlichung

Jan Gossært

Cornelius Graphæus

29.02-beide 590




















Wer sich mit dem Gossært-Portrait des Portugiesen Damião de Goes beschäftigt hat (vgl. Beitrag Gossært, Damião de Goes), dem fällt das von demselben Künstler gemalte Doppelportrait eines älteren Ehepaars auf. Es befindet sich in der National Gallery, London (Öl auf Pergament 45,7 x 67,3 cm. NG 1689) und wird auf ca. 1528 datiert, neuerdings sogar mit 1500, 1513, 1520 (Maryan Ainsworth).

Da aber das Portrait des Damião de Goes in seiner Zuschreibung an Gossært neuerdings umstritten ist, macht es notwendig, die Gemeinsamkeiten beider Portraits herauszustellen:
- die großzügige Anlage
- der Kairos d.h. in diesem Fall: die ausgeprägt zur Geltung gebrachte Individualität
- die aus dem Leben gegriffene Situation bzw. Authentizität der Darstellung
- die sorgfältig gestalteten, aktiven Hände („the beautiful hands“)
- die deutlich sichtbare Plakette am Barett
- die Detailgenauigkeit in der Wiedergabe der Garderobe.

Diese Merkmale zusammengenommen lassen darauf schließen, daß die Portraits von demselben Künstler in dem gleichen Zeitraum erarbeitet wurden und wahrscheinlich Personen desselben Ortes (bei dem Paar-Portrait Antwerpen) darstellen. Obwohl auch einige Gegenstände abgebildet sind, führten diese Merkmale bisher zu keiner Identifizierung.

Aus der vornehmen Kleidung und dem energischen Gesicht des älteren Mannes hat man bisher ─ wohl zu Recht ─ angenommen, es könnte sich um einen Vertreter der höheren Verwaltung handeln, rückt es doch in die Nähe von Albrecht Dürers Rentmeister Lorenz Sterck (Prado, Madrid) von 1521. Der von seiner Linken umklammerte Gegenstand läßt sich als Petschaft ansehen. Darauf sind zwei Delphine bzw. Tümmler zu erkennen. Demnach war der Mann ein Siegelbewahrer. Es gibt im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, ein vergleichbares Portrait eines Münzmeisters von Nicolas Neufchatel von ca. 1560/70 (vgl. Beitrag Cranach, Jamnitzer), in dem gleichfalls ein Prägestempel (?) vorgezeigt wird.

Trifft die Annahme zu, daß der ältere Mann im Umkreis von Damião de Goes zu suchen wäre, kommt nur eine Person dafür infrage: latinisiert Cornelis Graphæus. Er wurde 1482 in Aalst/Alost in einer Poetenfamilie geboren und zwar als Sohn eines städtischen Schreibers: Joost de Schrijver. Dieser nannte sich latinisiert auch Scribonius (guter Schreiber). Was und wo Cornelis/Corneille studiert hat, ließ sich bisher nicht klären. Bekannt ist nur, daß er in Brüssel seinen Magister gemacht hat. Eine Weile hielt er sich in Italien auf, um sein Studium fortzusetzen und seinen Gesichtskreis zu erweitern, kam 1515 in seine Heimat zurück und wurde 1520 Sekretär des Rats der Stadt Antwerpen. Hier traf er 1521 mit Albrecht Dürer zusammen.


29.02-Graphaeus-Antw NEBAnsicht von Antwerpen. Kupferstich des 17. Jahrhunderts





 







»Die humanistische Bildung bot Ministern, Beamten, Sekretären, Gesandten und allen denjenigen, die sich am internationalen diplomatischen Geschäft beteiligten, immense Vorteile« (Lisa Jardine S. 252). So versteht sich, daß Cornelis Latein vorzüglich beherrschte und möglicherweise auch Griechisch. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß Damião de Goes (s. Beitrag Gossært, Damião de Goes) einer seiner Schüler war. Außerdem waren beide musikalisch und haben komponiert; besonders diese Eigenschaft wird sie stark verbunden haben. Als Sekretär war Graphæus nicht einfacher Schreiber, sondern eine gewichtige Amtsperson, die Verhandlungen führte und Verträge aufsetzte. Diese wurden zur Bekräftigung mit dem städtischen Siegel versehen. Antwerpen stand zu dieser Zeit in Blüte, konzentrierte sich hier doch der Handelsaustausch von ganz Mittel- und Westeuropa.


Graphæus stammte aus einer Poetenfamilie, und so schrieb Graphaeus als Magister artium neben seinen dienstlichen Schriftsätzen Gedichte. 1515 ließ er Carmen pastorale (Hirtengedicht) drucken; 1519 erschien eine Panegyrik für Karl V. Ursula Tamassino charakterisiert ihn so: »ein einfallsreicher Geist und gewissermaßen der offizielle Dichter der Begebenheiten am Hof zu Mecheln«. Als Damião de Goes 1523 in Antwerpen eintraf, bekam er über seine Geschäfte Kontakt zu Graphæus und freundete sich mit ihm an.

Gerade war eine Publikation von Graphæus im Druck erschienen mit dem Titel De libertate christiana (auffallenderweise gleichlautend mit Luthers Schrift). Mit diesem Titel griff er in die Politik seines Umfelds ein, denn die Kirchenreform war schon seit Jahren ein Politikum in Europa. Mit seiner Argumentation für eine Kirchenreform bzw. die Mündigkeit der Laienchristen überzeugte er den jungen Portugiesen sofort. In der Folge setzte sich dieser selbst ungeniert für die neue Lehre ein. Daß Graphæus von ihr überzeugt war und und für sie aktiv wurde, belegt sein Geschenk für Albrecht Dürer, das dieser offenbar sehr hoch eingeschätzt hat. In dessen Niederländischem Tagebuch (S. 101) gibt es nämlich den Vermerk: »Mir hat geschenkt Cornelis Secretari, die Lütherisch Gefängnus Babyloniae; dargegen hab ich ihm geschenkt meine 3 große Bücher«. Die Praxis des Geschenkaustauschs war unter Humanisten sehr gebräuchlich, und durch seine Freundschaft mit dem Nürnberger Humanisten W. Pirckheimer war Dürer mit diesen Kreisen und ihren Gepflogenheiten vertraut. In diesem Zusammenhang ist aber die Buchauswahl des Cornelis aufschlußreich. Als Cornelis Graphæus (in latinisierten Form seines Namens) war er selbst Autor, schenkte aber dem an der Reformation lebhaft interessierten Dürer ein Werk von dessen Landsmann Luther; oder etwa seine eigene Veröffentlichung (s.u.)?

Doch mit seiner Überzeugung geriet Graphæus ins Visier der niederländischen Inquisition, wie de Goes Jahre später von der Inquisition Portugals angegriffen wurde. Auch Graphaeus wurde verhaftet und zum Widerruf verurteilt. Die unmittelbare Folge war: Er wurde seines einflußreichen Postens in der Stadtverwaltung enthoben. Er durfte zwar nach der Haft in Brüssel in seine Heimatstadt Antwerpen zurückkehren, aber nicht mehr auf seinen Posten. Daraufhin fristete er sein Leben als Lateinlehrer und arbeitete seinem Bruder Johannes Graphaeus (»le important imprimeur humaniste«) zu, der eine namhafte Druckerei besaß. Für den engen Kontakt zwischen Damião de Goes und Graphæus spricht, daß dieser 1555 (2. gekürzte Auflage 1558) die ihm von de Goes vermittelte Schrift Historia de gentibus septentrionalibus von Olaus Magnus edierte, die skandinavische Gebräuche, Mythen und Trolle schildert. Mythen waren auch der Stoff seiner Gedichte.

Der überaus trotzige und fast grimmige Blick des Porträtierten sowie die geschlossenen Lippen des Unbeugsamen lassen den Gedanken aufkommen, daß wir es tatsächlich mit Cornelis Graphæus zu tun haben. Zur Zeit der Portraitsitzung war er knapp 50 Jahre alt. Stolz hält er die Petschaft umklammert, das Instrument seiner früheren Amtsautorität, und gibt sich kämpferisch. Antwerpen besitzt das älteste Stadtsiegel noch aus dem Jahr 1231. Es hat einen Durchmesser von 7 cm.

Leider ist die figürlich gehaltene Plakette am Barett wenig aussagekräftig, weil sie – vielleicht aus Vorsicht - nicht betextet ist. Man erkennt eine männliche Gestalt links und eine weibliche rechts davon, die ein Füllhorn in der Linken hält. Yvonne Hackenbroch deutet die Szene, indem sie den Porträtierten als einen Handelsherrn einstuft, der mit seiner Frau in ehelicher Harmonie verbunden ist. Sie sieht in dem Mann der Plakette Merkur, den Gott des Handels, der Tyche begleitet, welche die Fülle der Gaben in der Hand hat. Die Tochter des Zeus wurde in der Antike weithin verehrt, oft als örtliche Beschützerin des Glücks einer Stadt. In der Tat war Antwerpen um die Zeit als internationaler Hafen Umschlagplatz für fast ganz Europa und florierte entsprechend.

Da Graphæus als ausgewiesener Poet und Humanist in der antiken Mythologie zuhause war, erscheint die Devise in ihrer Botschaft passend für ihn. Es fragt sich nur, ob er sie selbst gewählt hat, oder ob er sie vom Rat der Stadt als Auszeichnung für seine Arbeit bzw. Preis für seine Poesie bekommen hat. Dieser Sachverhalt läßt sich heute nicht mehr aufklären. Das städtische Archiv in Antwerpen konnte leider keine ergänzenden Angaben machen. Dabei ist seine Heimatliebe erwiesen durch die Schrift De nomine florentissimae civitatis Antuerpiensis. Darin wird die Frage nach dem Ort des Paradieses gestellt: »Paradison hoc in orbe vis«? Die Antwort lautet: »Antverpia est«.

In diesen schwierigen Jahren hielt Damião de Goes zu Graphæus; er selbst war als Ausländer zunächst nicht angreifbar. Da er Graphæus wirtschaftlich unterstützte, ist es auch denkbar, daß er – selbst ein eifriger Kunstsammler – Gossært den Auftrag zu dem Doppelportrait erteilt hat, vermögend wie er war. Diese Überlegung läßt sich dadurch stützen, daß Antwerpen nur vorübergehend sein Aufenthaltsort war, er also seine Freunde auch bei seiner späteren Rückkehr nach Lissabon im Blick haben wollte. Die Provenienz der Bilder ist jedoch zu lückenhaft, als daß sich sein Besitz des Gemäldes noch nachweisen ließe.

Mehr und mehr setzte sich die Reformation in den Niederlanden durch. So wurde Graphaeus 1540 wieder in sein Amt berufen bzw. rehabilitiert, als die Altgläubigen in die Minderheit gerieten. Die Stadt wurde vor dem Auftreten des Herzogs Alba 1567 sogar Fluchtort für bedrängte Protestanten aus den Niederlanden. Graphæus nutzte die Rückendeckung seines Amtes und publizierte 1541 ein aus Lebenserfahrung gewonnene kritische Mahnschrift für die Herrschenden: ´Enchiridion…´ für die Fürsten und Machthaber der Christenheit sowie einen polemisch gehaltenen Bericht über seine Zeit im Gefängnis (Graphaei captivi ad Deum O.M.querimonia in carceris augustia non sine lacrimis effusa). Er starb am 19.12.1558.

29.02-NEBBUnbekannter Künstler: Corneli‘ Graphæus,
Poeta et Musicus Antverpi. o. D. Stich.
Sammlung Manskopf,
Goethe-Universität Frankfurt/M.
Die Suche nach einem authentischen Portrait, z.B. im ALA, war zunächst vergeblich, bis sich in der auf Musikerportraits spezialisierten Sammlung Manskopf ein Stich von Corneli Graphæus, Poeta et Musicus Antverpi. fand, der
allerdings nicht gerade künstlerische Qualitäten aufweist. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist er erheblich später als 1532 entstanden und zeigt Graphæus mit einem Vollbart, während das Gemälde nur einen leichten Stoppelbart vorweist. Außerdem existiert ein Stich von Cornelivs Graphevs Andoerpiensis in der Portraitsammlung von Philipp Galle Virorum doctorum Effigies, 1572 in Antwerpen erschienen. Gerade weil die Blickrichtung gegensätzlich ist, kann man annehmen, daß der letztere Stich von dem früheren ´abgekupfert´ wurde.

Daß die Identifizierung des Doppelportraits jedoch zutreffend ist, bestätigen folgende Details:
- Beide Physiognomien weisen starke Einkerbungen auf.
- Die Nase ist in allen drei Portraits stark betont.
- In beiden Bildern sind die Pupillen nicht gleichgerichtet.
- Die Augen liegen bei beiden Portraits vertieft.

Damit ist die Identität von Cornelis Graphæus im Doppelportrait gesichert und somit auch die von Frau Graphæus gleichermaßen. Sie hatte als Adrienne Philips Cornelis 1515 geheiratet. Wie damals noch üblich, wurde seitens der Historiographen von ihrem Leben weiter keine Notiz genommen. Ihrer beider Sohn dagegen, Alexander Graphæus (1519─ca.1573), auch Scribonius alias de Schreyver, wurde Advokat und ebenfalls Sekretär der Stadt Antwerpen. Er hatte vom Vater die poetische Begabung geerbt und verfaßte u.a. ein Gedicht von rd.600 Versen über die Stadt Antwerpen.

© Christoph Wilhelmi, Stuttgart. 2018

Literatur
Maryan Ainsworth. In: Jan Gossaert’s Renaissance. The Complete Work. New Haven/London 2010
ALA portrait index. Washington 1906
Biographie Nationale de Belges. Bd. V. Bruxelles 1876 Sp. 721
Nils Büttner: Die Erfindung der Landschaft. Kosmographie und Landschaftskunst.
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Le Cinquième Centenaire del Imprimerie dans les Anciens Pays-Bas. Bruxelles 1973
Albrecht Dürer: Schriften und Briefe. Leipzig 1973 S. 101
Yvonne Hackenbroch: Enseignes. Firenze 1996
Lisa Jardine: Der Glanz der Renaissance. München 1996
Ariane Mensger: Jan Gossært. Berlin 2003
The National Gallery. Complete Illustrated Catalogue. London 2001
Marcel A. Nauwelaerts. In: Contemporaries of Erasmus. Toronto/Buffalo/London 2003 II, S. 123
J. Roulez. In: Biographie Nationale de Belgique. Bd. 5 Bruxelles 1876
Ursula Tamassino: Margarete von Österreich. Graz/Wien/Köln 1995

Bildnachweise
Yvonne Hackenbroch: Enseignes. Firenze 1996 Abb. 239
Abtwerpia/Antwerpen. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! (13.12.2008)
Sammlung Manskopf, Goethe-Universität Frankfurt/M.